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Japanisch auf Tütensuppen-Niveau




 

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„Ich habe gestern nach dem Retrospective-Meeting noch den ScrumMaster und den Product Owner beim Update des Product Backlogs supportet, weil heute die Items fürs Planning Poker festgelegt werden und danach endlich das Commitment für den kommenden Sprint erfolgt.“ Wenn ich meiner Mutter von meinem Arbeitsalltag berichte, beschränken sich die Reaktionen gehäuft auf ein langgezogenes „Aaaahaaaa“.

In der IT boomen agile Rahmenwerke und Ideen. Wer Muda, Kaikaku oder Shu-Ha-Ri nicht im aktiven Wortschatz nutzt, verschwindet in der Schublade der Wasserfall-Liebhaber. Natürlich haben diese japanischen Philosophien ihre Berechtigung, helfen beim Verständnis agiler Ansätze und unterstützen den Mindset-Wechsel. Aber warum überzeugen Ideen besonders dann, wenn ihre Herkunft Toyota und Co. zugeordnet werden kann? Mir persönlich werden asiatische Bilder derzeit etwas überstrapaziert. Sehr dankbar war ich daher, als ich den Vortrag von Prof. Dr. Gunter Dueck vom IBM Social Business JamCamp verfolgte. Seine Analogie des Werdeganges vom Tütensuppenkoch zum Sternekoch ist mir etwas näher als die Lernstufen Shu-Ha-Ri der japanischen Kampfkünste, so dass ich sie Ihnen nicht vorenthalten möchte:

Tütensuppe für Anfänger

Als ich meine erste Tütensuppe erwärmte, habe ich penibel darauf geachtet, die korrekte Flüssigkeitsmenge zuzufügen. Erst bei der dritten oder vierten Erwärmung habe ich auf den Messbecher verzichtet. Dennoch war ich in meiner kochenden Karriere immer noch im Anfangsstadium, in dem eine Befolgung der Tütensuppenanleitung meinen Geschmacksnerven sehr zuträglich war.
Bei der Einführung von Prozessen, Verfahren oder auch agilen Vorgehensweisen wie Scrum und Kanban empfiehlt es sich ebenfalls, zunächst die Regeln nahezu buchstabengetreu zu befolgen, um nicht gleich durch den üblen Geschmack des Angerichteten wieder abgeschreckt zu werden.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kulinarische Tütensuppenkoch-Niveau schon verlassen habe, mir sind aber Menschen bekannt, die in kühner Weise frische Zutaten für ihre Nahrungszubereitung verwenden und gar nach verschiedenen Rezepten kochen, ohne diese abzulesen. Tatsächlich entstehen dabei oft sehr schmackhafte Gerichte.
Gleiches gilt für die Anwendung von agilen Ansätzen. Wenn man die groben Regeln verinnerlicht hat, kann man sich mit den Feinheiten auseinandersetzen, sich beispielsweise um Details der Meeting-Abläufe kümmern, vielleicht in der Retrospektive einen Schwerpunkt auf Storytelling setzen und daran arbeiten, die zielorientierte Selbstorganisation des Teams zu verstärken. Die anfangs aufgestellten Regeln werden weiterhin weitest gehend befolgt, man ergänzt die Elemente des Rahmenwerkes aber um weitere hilfreiche Methoden.

Sterneköche erfinden begeisternde Rezepte

Der Sternekoch hingegen kreiert neue Gaumenschmeichler, indem er sein Wissen frei kombiniert. Er weiß, welche Zutaten zusammenpassen, von welchen Gewürzkombinationen abzuraten ist und was im Sinne seines Kunden die optimale Zusammenstellung ist.
Dieses Vorgehen scheint sehr gut auf Projektmanagement übertragbar zu sein. Wenn ich Software nach Scrum entwickeln lasse, spricht zunächst nichts dagegen, die aus Kanban bekannte Beschränkung von in Arbeit befindlichen User Stories (WIP-Limit) zu übernehmen. Auch eine Ergänzung des üblichen Scrum-Boards um eine Bahn für besonders dringende Aufgaben, wie es in Kanban üblich ist, scheint in bestimmten Umfeldern sinnvoll. Selbst eine Kombination von agilen und klassischen Ansätzen schließt sich nicht grundsätzlich aus – zumindest nicht für den Sternekoch!

Die drei Lernstufen Tütensuppenkoch – Rezeptverfeinerer – Rezepterfinder lassen sich sicher auf viele Themen projizieren. Mir sind sie sympathischer als die Kampfkünste fernöstlicher Krieger. Zudem kann ich so endlich meinen Mitmenschen erklären, was mich im Arbeitsalltag antreibt, ohne so zu tun, als bestünde die Welt nur aus Sterneköchen. Der Sternekoch zeichnet sich auch gar nicht dadurch aus, dass er die Titel toller Gerichte kennt und von anderen übernimmt. Der Sternekoch ist kreativ und erfindet Neues.

Gibt es andere Analogien, die Ihnen bei der Veranschaulichung von Ansätzen und Methoden geholfen haben? Ich wäre dankbar! Und meine Mutter auch.

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Quelle Foto: © photolars – Fotolia.com

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