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Wer oder was ist eigentlich ein „Top-Coach“?




 

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In letzter Zeit begegnen sie mir ständig. Wo ich auch hinblicke, „Top-Coaches“ überall, in Interviews, auf YouTube, in Fachmagazinen – und bei Xing sowieso. Klar, gutes Marketing ist wichtig, gerade in einem Bereich, der so unübersichtlich und offenbar heiß umkämpft ist wie der Coachingmarkt. Doch wann hat ein Label Substanz, und wann ist es eine Hülse? „Coach“ ist kein geschützter Begriff, letztlich kann sich jede/r so nennen, und die Qualität des Angebots ist entsprechend wildwüchsig. Beim „Top-Coach“ ist das nicht anders.

Was also soll man sich unter einem „Top-Coach“ vorstellen? Was unterscheidet den „Top-Coach“ von einem nicht so toppen Coach? Ist es…

  • das Honorar? Bei Tagessätzen von 3.000 EUR kann man sich als Coach schon top fühlen. Aber, Hand aufs Herz, wie viele Coaches streichen Honorare in dieser Höhe ein? Und haben die, die das tun, es nötig, sich selbst als „Top-Coach“ zu bezeichnen?
  • die Klientel? Wer im Bereich Top-Management coacht, muss wohl ein Top-Coach sein. Geht gar nicht anders. Oder?
  • die Anzahl der Klienten? Viel Klient, viel Ehr! Doch welche „Menge“ spricht für eine Top-Qualität: viele Klienten in kurzer Zeit (Effizienz); viele Klienten aus vielen verschiedenen Bereichen (Bandbreite), viele Klienten mit dem gleichen Thema (Spezialisierung), viele Klienten, die immer wieder kommen (Stammkunden)?
  • die eigene Eitelkeit? „Top-Coach“ klingt um so vieles besser als „Coach“. Warum also nicht ein wenig das Odeur von Exklusivität und Prominenz verströmen? Wer zu bescheiden ist, den bestraft ja bekanntlich die zahlende Kundschaft.

Während sich diverse Berufsverbände seit etlichen Jahren mühen, Qualitätsstandards in der Coach-Ausbildung durchzusetzen und Transparenz in den Markt zu bringen, haben zwei fachfremde Unternehmen vor einigen Monaten einen echten Coup gelandet. Die beiden Burda-Schwestern Xing und Focus erfanden kurzerhand das Gütesiegel „Top-Coach“. Als Basis nutzten sie dazu die Auswertung einer Befragung, die ein Marktforschungsunternehmen in ihrem Auftrag durchführte. Befragt wurden demnach 144.000 „Coaches“ und 77.000 Personalverantwortliche, die für die Buchung von Coaches in Unternehmen zuständig sind. Die Zahlen beeindrucken zunächst, doch die Rücklaufquoten waren offenbar sehr gering: Nur 0,7% der Personaler und 4,3% der Coaches beteiligten sich überhaupt an der Umfrage (weiterbildung + wirtschaft, 09/2016, S. 19). Und wie kam man zu den 144.000 Coaches? Xing generierte automatisch eine Plattform, auf der alle Mitglieder gelistet wurden, die nach einem sehr groben Filter irgendetwas (!) mit „Coaching“ im weitesten Sinne zu tun haben könnten. Dadurch landeten auch Personen auf der Top-Coach-Liste, die als Motivationstrainer oder professionelle Speaker einem größeren Publikum bekannt sind. Heute wirbt Xing übrigens nur noch mit 30.000 Coach-Profilen.

Wie dem auch sei, diejenigen, die sich bereit erklärten, an der Befragung teilzunehmen, wurden gebeten, Empfehlungen für Coaches in verschiedenen Bereichen abzugeben. Im Grunde haben also überwiegend Coaches andere Coaches bewertet. Wie aussagekräftig das ist, braucht wohl keinen Kommentar. Gemessen wurde nicht die Qualität – das wäre methodisch auch deutlich anspruchsvoller – sondern letztlich der Grad der Bekanntheit und Vernetzung, mithin also auch der Erfolg des Selbstmarketings.

Dank dieser Umfrage wissen wir aber nun endlich, wer oder was ein Top-Coach ist: Alle, die mit dem Qualitätssiegel des Focus-Verlages „ausgezeichnet“ wurden. Genial – nun dürfen sich mehr als 500 Coaches fühlen wie Stars, und potenzielle Klienten dürfen denken: Das ist die deutsche Coach-Elite. Doch wozu das Ganze? Welches Interesse verfolgen die beiden Unternehmen mit der Einführung dieses Siegels? Geht es ihnen um Qualitätssicherung im Coaching? Um Transparenz, den Schutz von Klienten oder das Vorantreiben der Professionalisierung in diesem Bereich? Nein. Es geht, worum es meistens geht, nämlich ums Geld. Denn wer das Top-Coach-Siegel vom Focus Verlag werberisch für sich nutzen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Mit 5.000 EUR netto ist man dabei, und zwar pro Jahr.

Xing profitiert ebenfalls. Automatisch wurden auf der Plattform, die sich nun auf ihrer Website damit rühmt, die „führende Coaching-Plattform für Deutschland, Österreich und die Schweiz“ zu sein, Coach-Profile angelegt. Jeder, in dessen Xing-Profil ein Hinweis auf „Coaching“ zu finden war, bekam ungefragt ein Profil auf der Coach-Plattform. Ich gebe gern zu, meines bis heute nicht bearbeitet zu haben. Die Basisversion ist kostenlos, doch eine aussagekräftige Gestaltung („Pro Coach“) lässt Xing sich bezahlen – auch wenn man bereits Premium-Mitglied ist. Je nach Laufzeit des Vertrages legt man dafür rund 500 EUR pro Jahr zusätzlich auf den Tisch. Das vom Focus-Verlag verliehene Siegel wird auch nur dann direkt neben dem Namen angezeigt, wenn man die kostenpflichtige Version des Coach-Profils nutzt. Beim kostenlosen Eintrag muss das Profil erst geöffnet werden, damit das Siegel sichtbar wird.

Mich erinnert dieses Vorgehen stark an die Verleihung des Siegels „Top-Consultant“. Immer wieder bekam ich in den vergangenen Jahren Unterlagen zugesandt mit der Aufforderung, mich bzw. unser Unternehmen um die Auszeichnung als Top-Consultant zu bewerben. Alles wirkte seriös, als Schirmherr lieh sogar ein prominenter Politiker der Initiative seinen Namen. Bei einem Telefonat stellte sich jedoch heraus: Um an dem „Auswahlverfahren“ teilnehmen zu können, sollte man erst einmal zahlen, und zwar nicht zu knapp.

Was also aussieht wie ein Gütesiegel und eine Top-Auszeichnung, ist nicht mehr und nicht weniger als ein geschickt verpacktes Geschäftsmodell von Xing und Focus. Die Berufsverbände der Coaches wie der dvct oder der DBVC kritisieren das Vorgehen stark und stufen die Plattform als nicht professionelles Angebot ein. Man muss allerdings im Blick behalten, dass auch die Verbände und deren Mitglieder selbstverständlich ökonomische Interessen haben und ihre eigenen Angebote durchsetzen wollen. Jedoch darf angenommen werden, dass die Verbände mehr an Qualitätsfeststellungen und Qualitätsinitiativen im Bereich Coaching interessiert sind als ein Medienkonzern.

Falls Sie für sich ein Coaching erwägen oder als HR-Verantwortliche/r passende Coaches für Ihr Unternehmen suchen, lassen Sie sich von der Marketinghülse „Top-Coach“ bloß nicht ins Bockshorn jagen. Wenn Sie bei der Auswahl eines geeigneten Coachs einige Grundregeln beachten und vor allem auf die „Chemie“ zwischen Ihnen und dem Anbieter achten, finden Sie sicher Ihren persönlichen „Top-Coach“.

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Quelle Foto: @ ArtFamily – Fotolia.com

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