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Online-Profile – Lust und Zwang der Selbstvermarktung




 

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Mal ehrlich: Googeln Sie Leute? Als Personaler werden Sie das mit Sicherheit und sogar regelmäßig tun. Und welches Gefühl beschleicht Sie, wenn Sie nichts, aber auch gar nichts finden? Vermutlich kein gutes. Vielleicht werden Sie ein wenig misstrauisch, ärgern sich oder sind enttäuscht. Noch vor 25 Jahren wäre Ihnen das definitiv nicht passiert. Da hätte man jemanden, der seinen gesamten Lebenslauf, seine persönlichen Vorlieben, Fotos und die Telefonnummer für alle Welt sichtbar zur Schau stellt, für irgendwie sozial auffällig gehalten – mindestens. (Prominente mal ausgenommen.)

Ich erinnere mich noch gut an die Volkszählung Mitte der 1980er Jahre. Da waren wir ständig auf der Straße, um gegen die unserer Meinung nach unlautere Neugier des Staates und die drohende Gefahr der „totalen Überwachung“ zu protestieren. Wir verteilten Flyer und Aufkleber, um für einen Boykott zu werben, und eine dieser Aktionen kostete mich damals sogar einen gut bezahlten Job als Werkstudentin.

Heute dagegen sind Online-Profile, in denen Menschen oft weit mehr von sich preisgeben als die Volkszählung je ermitteln könnte, so weit verbreitet, so selbstverständlich, dass kaum jemand sie noch hinterfragt. Daran ändern auch die periodisch wiederkehrenden Mahnungen der Datenschützer wenig. In vielen Bereichen des Arbeitslebens sind Profile sogar ein absolutes Muss. Das gilt vor allem für die wachsende Schar der Wissensarbeiter. Wer da kein Profil auf Xing oder LinkedIn vorweisen kann oder ein schlecht gepflegtes hat, der gerät in Erklärungsnot.

Serienkiller und Selbstvermarkter

Erstaunlich ist bei dieser Entwicklung aber nicht bloß der Wandel hin zur Bereitschaft der öffentlichen Preisgabe persönlicher Daten, sondern auch der Siegeszug des Profils als Form ihrer Darstellung. Denn noch bis vor zweieinhalb Jahrzehnten waren „Profile“ fast ausschließlich eine Angelegenheit psychiatrischer und kriminalistischer Bemühungen. Profile dienten der Beschreibung auffälliger, problematischer und gefährlicher Subjekte. Sie wurden eingesetzt zur psychologischen Diagnostik und zur Festsetzung meist psychopathischer Gewaltverbrecher.

Bis heute ist das „Profiling“ eines der wichtigsten Instrumente der Polizeiarbeit bei der Fahndung nach Serienkillern oder der Lösung ungeklärter Fälle. Die Erstellung von Profilen beruht dabei auf der Sammlung von Spuren am Tatort, von denen spezielle Ermittler auf die Persönlichkeit, das Motiv und Verhaltensmuster des Täters schließen, um letztlich seine Identität aufzudecken. Erste Ansätze der Erstellung von psychologischen „Täterprofilen“ finden sich bereits im 19. Jahrhundert. Erst nach 1945 nimmt die Entwicklung jedoch Fahrt auf, und mit Gründung der „Behavioral Science Unit“ im Hauptquartier des FBI Ende der 1970er Jahre wird die Erstellung von Profilen schließlich als kriminalistisches Instrument etabliert und systematisch betrieben und weiterentwickelt.

Was die Profile der Kriminalisten von denen auf Online-Plattformen und in sozialen Netzwerken unterscheidet, ist schnell erkannt:

FBI und Co. LinkedIn und Co.
Fremderfassung: Autor und Gegenstand des Profils sind getrennt. Selbsterfassung: Autor und Gegenstand des Profils fallen zusammen.
Unfreiwilligkeit: Erfassung erfolgt unfreiwillig nach vorgegeben Kategorien. Freiwilligkeit: Erfassung erfolgt freiwillig nach vorgegebenen, antizipierten und/oder verinnerlichten Kategorien.
Aufklärung: Aufdeckung der Identität eines psychopathischen Individuums. Wettbewerb: Wettbewerbliche Vermarktung eines Individuums.

Wie ist der Bedeutungswandel des Profils zu erklären?

Spannend ist nun natürlich die Frage, wie es zu diesem Bedeutungswandel und dem Aufstieg des Profils als bevorzugte Form der Selbstdarstellung kommen konnte. Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Manche meinen, dies sei einfach eine logische Konsequenz der technologischen Entwicklung. Erst das Internet ermöglichte es Menschen, sich jenseits der Massenmedien ins öffentliche Rampenlicht zu stellen. Mitte, Ender der 1990er Jahre tauchen entsprechend auch die ersten Profile in der neu erschaffenen digitalen Öffentlichkeit auf.

Diese Einschätzung ist sicher zutreffend, erklärt aber nicht, warum gerade die Darstellungsform des Profils so populär wurde. Der Lüneburger Kulturwissenschaftler Andreas Bernard hat dazu eine weiterführende These entwickelt. Bernard zufolge verdankt sich der Siegeszug des Profils einer veränderten Bewerbungskultur. Spätestens mit der Etablierung von Online-Bewerbungen um das Jahr 2000 herum fokussiert die wachsende Ratgeberliteratur für Absolventen und Stellensuchende auf das Profil: „Qualifikationsprofile“, „Kurzprofile“, „Bewerberprofile“ werden zu beliebten Formaten. Eines der bekanntesten Autorengespanne von Bewerbungshandbüchern und –trainings, Uwe Schnierda und Christian Püttjer, hat sich die „Profil-Methode“ sogar als eingetragenes Warenzeichen schützen lassen.

Vom Bewerbungsprofil ist es nun kein weiter Weg zum Profil auf digitalen Plattformen. Auch hier geht es ja darum, die eigene Person in einem möglichst guten Licht zu zeigen und die Attraktivität für den jeweiligen Kontext (Karriere, Partnersuche, soziale Beziehungen) herauszustellen. Das Profil wird zum Vehikel der Selbstvermarktung, für das Menschen ihre persönlichen Merkmale selbst erfassen und publizieren. Der Trend zu Selbstvermarktung wird dabei befördert durch eine anhaltende Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Markt- und Wettbewerbsmechanismen durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche, ihre Dominanz ist so „normal“ geworden, dass man sie im Alltag kaum mehr bemerkt. Wie „freiwillig“ und „selbstbestimmt“ kann in so einem Zusammenhang nun aber die Erstellung eines Online-Profils sein?

Selbsterfassung zwischen Zwang und Lust

Kein Zweifel, es ist bei vielen Menschen eine Lust an der Selbstdarstellung vorhanden. Die digitale Aufmerksamkeit, die man mit schönen Fotos, witzigen Kommentaren oder renommierten Auszeichnungen erringt, schmeichelt dem Ego. Es kann auch Freude bereiten, das eigene Profil ansprechend und ganz individuell zu gestalten. Das ist zugleich auch eine Anforderung an gelungene Profile: Sie sollen individuell sein – einerseits. Auf der anderen Seite müssen Profile in bestimmten Kontexten aber auch bestimmte Kategorien bedienen. Wer sich für eine bestimmte berufliche Position oder ein spezielles Unternehmen empfehlen möchte, muss sein Profil darauf anpassen. Er oder sie muss sich in diejenigen hineinversetzen, die Personalentscheidungen treffen und deren Erwartungen antizipieren und abbilden. Bei der Profilgestaltung macht man sich also externe, vorgegebene Bewertungskategorien zu eigen. So ganz „selbstbestimmt“ ist das nicht.

Zu bedenken ist auch die Veränderung der Erwerbsbiografien, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. Lebensläufe, die von der Anstellung in einer oder sehr wenigen Firmen geprägt sind, gehören einer aussterbenden Art an. Jüngere Erwerbsbiografien sind durch Brüche, temporäre Engagements und viele Wechsel gekennzeichnet – was zugleich bedeutet, dass eine Notwendigkeit besteht, sich selbst immer wieder in Bewerbungs- und Bewertungssituationen zu bringen. Sicher wird wohl niemand im engeren Sinne (unter Androhung von Gewalt) zu einem Xing- oder LinkedIn-Profil gezwungen. Doch wer die eigene Individualität nicht in der digitalen Öffentlichkeit zu Markte trägt, darf in seiner Karriereentwicklung mit negativen Folgen rechnen. Dass vielen dies gar nicht bewusst ist, steht indes auf einem anderen Blatt. Ein Zwang, der nicht als solcher daherkommt, sondern sich als freie Wahl und tolle Chance ausgibt, tut halt nicht weh.

Zum Weiterlesen:

Bernard, Andreas (2017): Komplizen des Erkennungsdienstes: Das Selbst in der digitalen Kultur, Frankfurt/M.: Fischer Verlag

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