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Kein gemeinsames Aufgabenverständnis? Schätzen Sie mal!




 

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Es gibt viele Schätzmethoden und -ansätze, von denen bereits einige in diesem Blog vorgestellt worden sind. Vom Zählen der Code-Zeilen über verschiedene Kartenspiele wie Planning Poker bis zu  T-Shirt-Größen oder komplizierteren Berechnungen von Mittelwerten (PERT) kann man in der Literatur ausgefeilte Methoden nachlesen und viel Zeit investieren, um die passende Methode für sein Team zu ermitteln. Das Ziel der Methodenauswahl wird allerdings meist darauf reduziert, eine Methode zu finden, die eine möglichst exakte Schätzung liefert.

Alle Schätzungen sind falsch!

Nicht jeder Projektmitarbeiter wird vor Begeisterung überschäumen, wenn von ihm Aufwandsschätzungen gefordert werden. Schätzungen sind Prognosen, auf die Zukunft gerichtete Aussagen, die gewisse Risiken bergen. Diese Risiken haben mitunter schwerwiegende Auswirkungen, wenn sie eintreten. Bedeutung und Auftretenswahrscheinlichkeit der Risiken sollten daher reduziert werden, um genaue Schätzungen zu erzielen. Dies kann durch Minderung von Komplexität und Umfang erreicht werden, indem die zu bewertenden Aufgaben verkleinert werden. Somit erhöht sich die Anzahl an zu schätzenden Aufgaben und damit der Aufwand für die Durchführung von Schätzungen deutlich, was aber Restrisiken oft nicht ausschließt. Folgt man der Argumentation der Schätzungsgegner, ist zunächst davon auszugehen, dass die Schätzungen nie exakt sein werden, obwohl sich die Abweichungen im Mittel evtl. aufheben mögen.

Zudem müssen in vielen Projekten etliche Aufgaben in jedem Fall unabhängig vom Umsetzungsaufwand durchgeführt werden. Basisfunktionen und Alleinstellungsmerkmale sind beispielsweise unverzichtbar. Die Schätzung des Aufwandes und somit der Kosten für eine derartige Aufgabe ist – zumindest in einem agilen Umfeld – zunächst nicht einsehbar, da das Ergebnis die Priorisierung kaum beeinflusst, die Schätzung also keinen messbaren Mehrwert bietet.

Warum sollen wir also viel Zeit für Schätzungen investieren? Das ist Verschwendung, das ist Muda!

Warum führen andere Schätzungen durch?

Klassisches Projektmanagement sieht Phasen der Planung vor, die eine Aufwands- und Kostenschätzung zwingend voraussetzen. Die Projektplanung ist langfristig angelegt und fordert einen Projektstrukturplan, der ohne Aufwandsschätzungen geringen Wert hat.

Agile Methoden gehen etwas anders vor. Dennoch fordern beispielsweise Scrum-Anhänger Schätzungen als Voraussetzung für die Zusammenstellung eines Sprint-Backlogs. Ohne eine Aufwandsschätzung für einzelne Sprint-Items ist es dem Team nicht möglich, einen Forecast für die Fertigstellung innerhalb eines festen Zeitrahmens zu liefern. Vollkommen ausgeschlossen scheint, dass sich ein Scrum-Team ohne Aufwandsschätzungen freiwillig auf ein Sprintziel verpflichtet.

Und auch wenn Kanban das Hauptaugenmerk auf den stetigen Arbeitsfluss legt und keine fixen Zeitintervalle für die Planung fordert, werden Kanban-Fans auf Durchlaufzeiten und Service Level Agreements verweisen, die einer gewissen Schätzung bedürfen.

Schätzen erhöht die Motivation

Das Schätzen von Aufwänden fordert die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema. Je genauer die Schätzung ausfallen soll, desto höher ist meist die zu investierende Zeit. Um gute Schätzungen zu erzielen, werden Aufgaben oft in kleinere, überschaubare Pakete herunter gebrochen. Hierdurch wird dem Team ein tiefer Einblick in die nächsten Aktivitäten gewährt. Schätzungsmeetings wie Planning Poker zwingen das Team, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, statt sich bei einer Überblickspräsentation berieseln zu lassen. Durch die Diskussion von verschiedenen Aspekten der Aufgabe gewinnt das Team nach und nach ein gemeinsames Verständnis für die kommenden Tätigkeiten. Jedes Teammitglied hat Einblick in das große Ganze, kann seine  Position im Team einschätzen und lernt, welchen Wert die eigene Arbeit für das Erreichen des Zieles hat. Die Teammitglieder erkennen ihre Einflussmöglichkeiten und ihren Anteil am Projekt.

Durch gemeinsames Schätzen wird zudem der Knowhow-Transfer gefördert und das Team steht gemeinsam zu den ermittelten Werten, kann sich also aufgrund der so gewonnenen Sicherheit auch als Team auf die Aufwandsziele „committen“.

Dies sind aus meiner Sicht Motivationsfaktoren für Projektteams, die in der Diskussion von Schätzverfahren oft zu wenig Berücksichtigung finden. Indem das Team genötigt ist, sich gemeinsam Klarheit über eine Problemstellung zu schaffen, schärft sich das Bild vom Projektziel. Die Rolle jedes Teammitglieds kristallisiert sich für alle Teilnehmer heraus, das Umfeld des Einzelnen wird transparenter.

Dass am Ende einer Schätzungsbesprechung auch noch Aufwandsangaben je Aufgabe vorliegen, ist schön, die Erkenntnisse für die Mitarbeiter bzgl. ihres Projektumfeldes aus meiner Sicht aber wertvoller.

Ist die Genauigkeit von Schätzungen dann vernachlässigbar? Nein, denn nach den oben aufgeführten Motivationsgesichtspunkten deuten ungenaue Schätzungen daraufhin, dass die Aufgabe zum Zeitpunkt der Planung nicht hinreichend durchdrungen worden ist. Ein gemeinsames Team-Verständnis der Aufgabenstellung kann es dann nicht gegeben haben. Der Projektleiter hat also Motivationspotential ungenutzt gelassen, das die Umsetzungsgeschwindigkeit positiv beeinflussen hätte können.

Schätzungen sind bei Verwendung der „richtigen“ Methoden nicht nur für eine sinnvolle Planung wichtig, sie sind dann auch eine Investition zur Steigerung der Umsetzungsgeschwindigkeit durch erhöhte Mitarbeitermotivation, weil sie ein gemeinsames Verständnis der anstehenden Team-Aufgaben fördern.

Lesen Sie in diesem Blog zum Thema „Schätzen“ auch folgende Artikel:
PERT Dreipunkt-Schätzung
Aufwände schätzen: Tasks Estimation Poker ©
Aufwandsschätzung mit T-Shirt-Größen
Stabile Schätzung durch Planning Poker
Planning Poker – besser schätzen

Welche Methode verwenden Sie?

Quelle Foto: © José-Loyer-72 – Fotolia.com

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