Ökonomischer und sozialer Tausch im Unternehmen – mit welcher Währung zahlen Sie?
6. Oktober 2016
Leistung gegen Geld. Arbeitsverhältnisse sind Tauschgeschäfte. Doch bringt diese simple Formel das Wesen von Arbeitsbeziehungen wirklich auf den Punkt? Schon ein Blick in gewöhnliche Arbeitsverträge zeigt, dass die Angelegenheit offenbar etwas komplexer ist. Die „Leistung“, die von MitarbeiterInnen erwartet wird, spaltet sich in verschiedene Komponenten auf. Zunächst einmal beinhaltet sie den Einsatz von Arbeitskraft, also die Erledigung definierter Aufgaben. Hinzu kommen Vereinbarungen über die Zeit, die jemand seinem Unternehmen zur Verfügung steht: Arbeitsstunden pro Woche, Schichtzeiten, Bereitschaftsdienste, Reisezeiten.
Auf der anderen Seite stehen im Arbeitsvertrag nicht nur Gehalt, Prämien und Zuschüsse etwa zu Fahrtkosten oder Altersvorsorge zum Tausch, sondern auch Urlaubsansprüche, die Überlassung von Laptops, Firmenfahrzeugen und Mobiltelefonen oder auch die Möglichkeit zu längeren Auszeiten wie z.B. sabbaticals. Daneben gibt es eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen, die dem Tauschgeschehen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen Rahmen geben: Arbeitsschutz- und Kündigungsschutzgesetze, Regelungen zu Weiterbildungs- und Lohnfortzahlungsansprüchen, Elternzeit und betrieblicher Altersvorsorge, um nur einige zu nennen. Wer Arbeitsverträge verhandelt, verhandelt nicht Leistung gegen Geld, sondern immer ein ganzes Paket von Tauschgütern.
Vertrag und Moral
Interessant dabei ist, dass es bei Arbeitsverhältnissen nie nur um ökonomische Tauschgeschäfte geht. Soziale Tauschgüter wie Engagement, Respekt und Loyalität sind eine wichtige Währung im Berufsleben. In Arbeitsverträgen und im Arbeitsrecht findet sich dazu nur wenig. Das liegt daran, dass ökonomischer Tausch auf vertraglichen Verpflichtungen, sozialer Tausch hingegen auf moralischen Verpflichtungen beruht. Implizite moralische Anforderungen (Anstand!) explizit in Rechtsnormen abzubilden, ist schwierig. Die gesetzliche Regelung der sog. „Treuepflichten“ von MitarbeiterInnen ist ein schönes Beispiel für den Versuch, soziale Tauschgüter – Treue und Verschwiegenheit – in formale Normen zu gießen. Heraus kommen dabei in Arbeitsverträgen Verpflichtungen zur Geheimhaltung sowie Wettbewerbs- und Kundenschutzklauseln. Im Tausch für weitergehende Konkurrenzverbote werden in der Regel Kompensationszahlungen festgelegt.
Aber kann so etwas überhaupt funktionieren? Können soziale gegen ökonomische Güter eingetauscht werden und umgekehrt? Kann man Engagement, Loyalität, Dankbarkeit, Wertschätzung kaufen? Und kann man für seine Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Diskretion eine Gehaltserhöhung bzw. finanzielle Entschädigung einfordern? Klar ist: Tausch beruht auf Geben und Nehmen. Doch offenbar gibt es gewisse Verschiedenheiten, ja sogar Inkompatibilitäten hinsichtlich der Qualität der Tauschgüter und der Funktion der Tauschformen.
Ökonomischer Tausch – Sozialer Tausch
Gemeinsam ist beiden Tauschformen, dass sie auf dem Prinzip der Gegengabe beruhen. Bleibt die erwartete Gegenleistung aus, wird die Tauschbeziehung eingestellt oder man verlegt sich auf den Tausch negativer Sanktionen. Das gilt im Beruf ebenso wie in anderen Lebensbereichen, z.B. in der Liebe. Beim ökonomischen Tausch sind die Transaktionen (ebenso die negativen Sanktionen) i.d.R. formell festgelegt. Eine Weiterentwicklung der Tauschbeziehung findet nicht statt, u.a. deshalb, weil einzelne ökonomische Transaktionen (z.B. ein Kauf) grundsätzlich voneinander unabhängig sind. Das gegenseitige Handeln bleibt auf den Vertrag bezogen – nicht auf die Beziehung. Daher werden beim ökonomischen Tausch Aspekte wie Vertrauen oder Verbundenheit nicht abgebildet. Und das ist einer der zentralen Unterschiede zum sozialen Tausch.
Soziale Tauschbeziehungen entwickeln sich aus einer Vielzahl wechselseitig aufeinander bezogener, voneinander abhängiger Transaktionen zwischen den Tauschpartnern. Und während beim ökonomischen Tausch die gegenseitigen Verpflichtungen (zumindest mehr oder weniger) klar geregelt sind, gilt für soziale Tauschbeziehungen: Ein „Auszahlen“ des eigenen Einsatzes ist nicht gesichert. Ob, wann und in welcher Form eine Gegenleistung erfolgt, ist unbestimmt. Sie ist allenfalls moralisch, nicht aber rechtlich einklagbar wie in ökonomischen Tauschbeziehungen. Soziale Tauschbeziehungen erfordern daher ein höheres Maß an Vertrauen. Man tut jemandem einen Gefallen, man stellt jemandem eine für diese Person wichtige Ressource zur Verfügung und vertraut darauf, dass diese sich „revanchieren“ wird. Der Soziologe und Kulturphilosoph Georg Simmel sprach in diesem Zusammenhang auch von „Gefühlsschulden“, was ich sehr treffend finde. Soziale Tauschbeziehungen entwickeln sich i.d.R. über einen längeren Zeitraum. Sie beginnen mit kleineren Investitionen, also Gefällig- oder Freundlichkeiten, die wenig Risiko bergen und daher zunächst wenig Vertrauen erfordern. In dem Maße, in dem beide Tauschpartner sich als zuverlässig erweisen, wächst das Vertrauen und verfestigt sich die Tauschbeziehung.
Daraus folgt ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen ökonomischen und sozialen Tauschverhältnissen: Sozialer Tausch ist stärker an Personen gebunden. Während ökonomische Tauschgüter von konkreten Personen getrennt werden können, sind Gabe und Gegengabe beim sozialen Tausch stark an die jeweiligen Tauschpartner geknüpft.
Beispiele für Tauschgüter im Unternehmen
ökonomisch | sozial |
Vergütung | Vertrauen |
Boni/Sonderzahlungen | Commitment/Verpflichtung |
Sachprämien | Transparenz |
Karrierechancen | Loyalität |
Status/Titel | Engagement |
Statussymbole (Dienstwagen, Assistenz, Chefbüro usw.) | Respekt |
Incentives | Wertschätzung |
Vergünstigungen/Rabattsysteme | Information |
Zuschüsse (Fahrtkosten, Reisespesen, Altersvorsorge usw.) | Erfahrung |
Weiterbildungsangebote | Verantwortung |
Arbeitskraft | Diskretion |
Leistung | Dankbarkeit |
Zeit | Zuwendung |
Kontakte / Netzwerk | Zuverlässigkeit |
Sicherheit | Fürsorge |
Und die Praxis?
In der Praxis von Arbeitsverhältnissen werden beide Tauschformen häufig miteinander verquickt. Unternehmen versuchen, Fachkräfte mit dem Versprechen von sozialen Tauschgütern (wertschätzende Atmosphäre, Augenhöhe-Kultur, transparente Kommunikation usw.) zu locken. Umgekehrt kommt kaum eine Bewerbung ohne das Versprechen von Engagement, Zuverlässigkeit oder Erfahrung aus. Was problematisch ist, ist ein Umrechnen der Währungen. Was ist ein angemessener Tauschwert für Respekt? Oder für Hilfsbereitschaft?
Als Unternehmerin habe ich selbst schon unzählige Personalgespräche geführt, in denen für soziale Tauschgüter immer nur eines gefordert wurde: mehr Geld. Nie ist ein Mitarbeiter auf mich zugekommen, um mehr Wertschätzung zu verlangen. Offenbar besagt ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich Wertschätzung in Geld umrechnen lässt. Das funktioniert allerdings nur in eine Richtung. Zumindest würde ich als Chefin nicht ernsthaft denken, dass ein Mitarbeiter auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, um mir seine Wertschätzung und Anerkennung zu zeigen. Auf der anderen Seite habe ich mich aber auch schon dabei ertappt, dass ich für die Übernahme von Weiterbildungskosten nicht nur einen ökonomischen Nutzen, sondern auch ein ehrliches „Danke“ erwartet habe. Mal kam es, mal kam es nicht.
Besonders deutlich wird die Inkompatibilität der Währungen am Beispiel der Loyalität. Wer sich z.B. explizit dafür bezahlen lässt, in einem Unternehmen zu bleiben und nicht zur Konkurrenz zu wechseln, der ist nicht loyal, sondern käuflich. Soziale Tauschgüter können nicht durch quantifizierbare Größen wie z.B. einen Preis abgebildet werden. Das ökonomische Tauschangebot versagt an dieser Stelle. Menschen lassen sich nur an Menschen binden. Wenn MitarbeiterInnen kündigen, verlassen sie in der Regel ja nicht „das Unternehmen“ als abstrakte Größe, sondern ihre Chefs, Vorgesetzten Geschäftsführer. Ich glaube daher auch nicht, dass hohe Gehälter, Karriereaussichten, Prämien oder Wellnessangebote am Arbeitsplatz die Loyalität oder auch nur die Verbundenheit von Mitarbeitern mit dem Unternehmen erhöhen. Solche Maßnahmen fördern allenfalls die kalkulatorische Bindung. Affektive Bindung entsteht nur in sozialen Tauschbeziehungen. Eine hohe Fluktuation, und hierbei insbesondere das immer stärker um sich greifende Job-Hopping jüngerer Führungskräfte (Job-Hopping in der Führungsetage), schadet der Entwicklung tragfähiger sozialer Tauschbeziehungen dabei immens.
Wie erleben Sie die Tauschbeziehungen in Ihrem Unternehmen? Mit welcher Währung zahlen Sie? Ergänzungen, Anregungen und Kommentare sind wie immer herzlich willkommen.
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Quelle Foto: @Kudryashov – Fotolia.com
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