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Tit for Tat – Spielregeln für erfolgreiche Kooperation




 

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Sich in Konflikt- und Verhandlungssituationen strategisch klug zu verhalten, ist nicht immer einfach. Mal angenommen, Sie hätten kürzlich mit einem Kollegen diverse Bankautomaten gesprengt. Leider ist Ihnen die Flucht dieses Mal nicht so ganz gelungen und nun sitzen Sie beide auf der Anklagebank. Das Urteil wird nach harten Regeln gefällt: Wenn Sie auspacken, kommen Sie straffrei davon und erhalten obendrein noch eine Belohnung. Ihr Kollege hingegen muss für vier Jahre hinter Gitter. Packt Ihr Kollege aus, verhält es sich ebenso: Er geht straffrei aus und erhält die Belohnung, während Sie einsitzen müssen. Verrat wird vom Gericht also belohnt –  vorausgesetzt es gibt nur einen Verräter. Denn wenn Sie sich gegenseitig verraten, wandern Sie beide für zwei Jahre in den Bau. Verrät jedoch keiner den anderen, werden beide Angeklagte freigesprochen. Wie würden Sie sich nun verhalten? Würden Sie auspacken? Oder schweigen

Kooperation als Strategie im Gefangenendilemma

Die meisten Menschen würden in einer solchen Situation davon ausgehen, dass der Andere den größtmöglichen Gewinn wählt: Freiheit und Belohnung. Im Ergebnis verraten die „Angeklagten“ sich dann also gegenseitig und müssen beide ins Gefängnis. Solche Situationen, die im Kontext der Spieltheorie als „Gefangenendilemma“ bekannt geworden sind, treten im Wirtschaftsleben, im Politikbetrieb und auch im Arbeitsalltag immer wieder auf. Zwei Parteien verfolgen eine dominante Strategie der Gewinnmaximierung, bei der absehbar ein Resultat erzielt wird, das beide Parteien schlechter stellt, als wenn jeder eine Strategie gewählt hätte, die den eigenen Gewinn minimiert. Die Verfolgung von Eigeninteressen scheint wichtiger als ein für beide Seiten günstiges Ergebnis. Um ein solches für beide Seiten gutes Ergebnis zu erzielen, müssten die Parteien kooperieren. Die Frage ist also: Wie lässt sich eine Kooperation erreichen, wenn zwei Parteien um die bestmöglichen Konditionen für sich selbst konkurrieren?

Im Umgang mit dem Gefangenendilemma gibt es verschiedene Strategien. Die Vorgehensweisen, die eine Kooperation fördern, beruhen i.d.R. darauf, denjenigen zu betrafen, der nicht kooperiert. Im genannten Beispiel müsste der Kollege, der Sie denunziert hat, z.B. damit rechnen, dass Ihre Freunde Sie rächen werden. Eine andere Möglichkeit zur Herstellung von Kooperation ist das Entstehen von Vertrauen. Dies setzt (ebenso wie der Bestrafungsmechanismus) voraus, dass das Verhalten beider Parteien wechselseitig vorhersagbar ist. „Tit for Tat“ oder „Wie du mir, so ich dir“ ist eine freundliche Strategie, die Kooperation belohnt und Verrat bestraft.

Tit for Tat – eine freundliche und erfolgreiche Strategie

Die Wirksamkeit dieses Vorgehens wurde in einem vielbeachteten Computerexperiment von Robert Axelrod an der Universität Michigan eindrucksvoll belegt. Axelrod veranstaltete ein Turnier mit Zwei-Personen-Gefangenendilemma-Spielen, zu dem er die seinerzeit bekanntesten Spieltheoretiker aus aller Welt einlud. Die Wissenschaftler sollten Strategien in Form von Computerprogrammen einreichen. Die Programme ließ Axelrod jeweils paarweise gegeneinander antreten. Sie spielten ein Gefangenendilemma-Spiel, das 150 Mal wiederholt wurde. Sieger dieses Wettbewerbs wurde Anatol Rapoport, ein Mathematikprofessor aus Toronto, der seine Tit-for-Tat-Strategie bereits in den 1960er Jahren entwickelt hatte. Mit einem erweiterten Teilnehmerkreis wiederholte Axelrod das Turnier – und wieder gewann zur Überraschung Aller Rappoport mit Tit for Tat. Der Erfolg der Strategie gründet sich auf vier Prinzipien:

  • Nettigkeit: Man beginnt das Spiel immer kooperativ.
  • Provozierbarkeit: Auf unkooperatives Verhalten der Gegenseite folgt Vergeltung. Auf kooperatives Verhalten wird mit Kooperation geantwortet.
  • Nachsichtigkeit: Sobald die andere Partei nach einer Defektion wieder Kooperationsbereitschaft zeigt, nimmt man die Kooperation wieder auf. (Trenne in Konflikten immer Person und Verhalten!)
  • Klarheit: Durch die Einfachheit der Strategie ist das eigene Verhalten leicht berechenbar.

Wie gut diese Strategie auch in schwierigsten Situationen funktionieren kann, zeigen die Verbrüderungen feindlicher Soldaten im Ersten Weltkrieg. Statt sich gegenseitig zu erschießen, kooperierten viele Einheiten mit dem Feind. Die Soldaten legten zu bestimmten Tageszeiten Feuerpausen ein oder schossen in die Luft. Auch drakonische Strafen (Erschießungen) seitens der Generalität konnten die Kooperation nicht durchbrechen. Erst die Verlegung von Truppenteilen in andere Frontabschnitte zeigte „Erfolg“. Die Soldaten trafen nun auf neue Feinde, von denen sie nicht wussten, ob sie kooperieren würden oder nicht – das Gefangenendilemma begann von vorn.

Risiken und Grenzen der Tit-for-Tat-Strategie

Grundsätzlich ist Tit for Tat ein gutes Vorgehen für Konfliktsituationen oder Verhandlungen. Erst einmal kooperativ zu sein, dem anderen nichts durchgehen zu lassen, aber auch Verfehlungen nicht nachzutragen, ist ein guter Ansatz – allerdings nur dann, wenn man davon ausgehen kann, dass die andere Seite grundsätzlich an einer gemeinsamen Lösung interessiert ist. Kooperative Strategien haben ihre Grenze dort, wo die gegnerische Partei auf Destruktion aus ist. Die Verbrüderung im Schützengraben funktionierte nur, weil auf beiden Seiten Menschen standen, die leben wollten. Das ist so ähnlich wie das Problem, Intoleranz mit Toleranz begegnen zu wollen. Da kann man nur verlieren.

Fehleranfällig ist die Tit-for-Tat Strategie aber auch in anderer Hinsicht: schon kleine Missverständnisse können die Kooperation untergraben. Bevor man also ein bestimmtes Verhalten der Gegenseite negativ sanktioniert, sollte man beim Einsatz dieser Strategie immer sichergehen, dass man keinem Missverständnis aufsitzt. Es ist wichtig nachzufragen, wie etwas gemeint ist bzw. ob man etwas richtig verstanden hat. Ansonsten landet man mit Tit for Tat auch schnell in einer Spirale abwärts, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Das ist eine weitere Schwäche der Strategie: Sie kann zu schnellen Eskalationen und in der Folge verhärteten Fronten führen. Manchen Gegnern geht es auch genau darum. Sie beantworten kooperatives Verhalten absichtlich mit Konfrontation, um eine negative Reaktion zu provozieren, mit der sie die Gegenseite dann vor Dritten (z.B. Vorgesetzten) anschwärzen können. So kann auch die „freundlichste“ Strategie von „unfreundlichen“ Zeitgenossen für miese Zwecke genutzt werden.

Zum Vertiefen des Themas eignen sich die folgenden zwei Bücher:

  • Robert Axelrod (2000), Die Evolution der Kooperation, Oldenbourg Verlag
  • Avinash K. Dixit / Barry J. Nalebuff (1997): Spieltheorie für Einsteiger, Stuttgart: Verlag Schäffer-Pöschel (insbesondere Kapitel 4, S. 89-116)

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