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Pretotyping – Innovationsideen schneller testen




 

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Geschwindigkeit ist bei der Entwicklung von Innovationen ein erfolgskritischer Faktor. Nahezu in Echtzeit müssen Unternehmen heute auf Marktveränderungen reagieren (oder besser noch: sie vorwegnehmen) und neue Lösungen für ihre Kunden erschaffen. Jedes Jahr kommen zigtausend neue Produkte auf den Markt. Der Großteil davon, je nach Quelle zwischen 70 und 90%, verschwindet allerdings sehr schnell wieder. Um Flops zu vermeiden, ist ein frühzeitiges und schnelles Aussortieren von Ideen essentiell.

Für diesen Auswahlprozess stehen verschiedene Vorgehensweisen zur Verfügung. In vielen Bereichen durchgesetzt hat sich z.B. das Prinzip des minimum viable products, eine Kernidee agiler Entwicklungsmethoden. Hier wird eine markt- und funktionsfähige, jedoch auf das absolute Minimum reduzierte erste Version eines Produktes erstellt. Mit dem geringstmöglichen Aufwand wird so dem Kundenbedarf entsprochen, um auf Basis des Feedbacks weitere Entwicklungen, Ergänzungen oder Änderungen vorzunehmen.

Immer häufiger eingesetzt wird auch das sog. Rapid Prototyping. Hier wird bereits in einem relativ frühen Stadium des Planungsprozesses ein Modell gebaut, an dem sich Schwächen und Fehler erkennen lassen. Noch einen Schritt früher setzt Pretotyping an. Hier wird das Produkt möglichen Kunden angeboten, ohne auch nur einen Prototyp davon zu haben. Getestet wird allein die Idee. Geht es beim Prototyping um die Frage, ob und wie ein Produkt am besten gebaut werden kann, liegt der Fokus beim Pretotyping auf der Frage, ob und wie ein Produkt von KundInnen genutzt werden würde.

Das Pretotyping Manifesto

Pretotyping ist ein Vorgehen, das bereits 2011 von Alberto Savoia, einem ehemaligen Mitarbeiter von Google, entwickelt wurde. Die Wortschöpfung verbindet „pretend“ mit „prototyping“. In seinem E-Book „Pretotype it“ stellt Savoia – analog zum Agile Manifesto – seine Grundprinzipien in Form des Pretotyping Manifesto vor.

Quelle: pretotyping.org (Alberto Savoia)

Das ursprüngliche Manifesto besteht aus den ersten sieben Leitsätzen:

  • (1) Gute Ideen alleine reichen nicht, der Mensch hinter der Idee ist entscheidend.
  • (2) Produktkonzepte müssen so früh wie möglich getestet werden.
  • (3) Taten sind besser als Worte.
  • (4) Reduktion auf das Wesentliche ist besser als viele Funktionen
  • (5) Je früher Ideen aussortiert werden, desto besser.
  • (6) Vereinbarungen und Selbstverpflichtung sind wichtiger als Ausschüsse und Gremien, die nur Selbstzweck sind.
  • (7) Daten sind aussagekräftiger als Meinungen und Vermutungen.

Die kursiv gedruckten Prinzipien wurden nach und nach hinzugefügt, und das Manifest kann als lebendiges Artefakt erweitert und verändert werden.

Fake it before you make itMethoden des Pretotyping

In der Praxis kommen beim Pretotyping ganz verschiedene Methoden zum Einsatz, die sich sowohl auf den Produktentwicklungsprozess selbst, als auch auf das Austesten von Marktzugängen und-segmenten beziehen können.

Fake Door: Erstelle einen Zugang zu einem Produkt, ohne das Produkt selbst zu bauen.Dieses Vorgehen findet sich oft auf Websites, wo mit Hilfe von Links und Werbung mitunter viel Lärm um buchstäblich Nichts gemacht wird, um die Kaufbereitschaft möglicher KundInnen zu testen. Aber auch eine große Fastfoodkette hat sich schon der Fake Door-Methode bedient, um zu schauen, ob „McSpaghetti“ ein neuer Verkaufsschlager werden könnte. Man setzte das Gericht auf die Speisekarte ausgewählter Testfilialien und zählte die Bestellungen. Wer bestellte, wurde informiert, dass die Spaghetti leider ausverkauft seien und mit einem Rabatt auf ein anderes Produkt getröstet. Der Test dauerte eine Woche, danach war die Idee für McSpaghetti vom Tisch.

Provincial: Teste deine Idee erst im kleinen Kreis, bevor du sie in die Welt trägst.Das Prinzip des lokal und quantitativ begrenzten Ausprobierens schlägt in die gleiche Kerbe. Mit überschaubarem Aufwand kann herausgefunden werden, ob und ggf. mit welchen Veränderungen eine Innovation eine Chance hat. Das Provinz-Prinzip wird z.B. beim Car-Sharing angewandt.

Pinocchio: Baue eine leblose, nicht-funktionale Version des Produkts und spiele alle Funktionen damit durch.Das mag vielleicht ein wenig verrückt klingen, doch es gibt durchaus prominente Beispiele für den Erfolg dieser Methode, die ein beliebiges Herumexperimentieren mit Formen und Funktionen ermöglicht. Jeff Hawkins, einer der Gründer von Palm Computing Inc., wird nachgesagt, wochenlang ein Holzmodell des späteren Palm Pilots mit sich herum getragen und sich vorgestellt zu haben, es sei ein funktionsfähiger Taschencomputer – ganz wie Meister Geppetto den hölzernen Pinocchio als einen lebendigen Jungen insinuierte.

Mechanical Turk: Ersetze technische Funktionen durch einen Menschen. Diese auch als „Concierge“ oder „Wizzard of Oz“ bekannte Methode basiert darauf, potenziellen NutzerInnen eine Funktion anzubieten, die bei dem geplanten Produkt durch Computer oder Maschinen ausgeführt werden, im Testfall aber von einem Menschen erledigt wird. Ein Beispiel, das Alberto Savoia selbst anführt, ist das IBM Speech-to-Text-Experiment.

Schon vor Jahrzehnten war die Umwandlung von gesprochener Sprache in geschriebenen Text ein großes Thema bei IBM. Man war überzeugt davon, eine revolutionäre Idee zu verfolgen, wollte jedoch nicht „blind“ große Investitionen tätigen. Was gebraucht wurde, war das Feedback möglicher NutzerInnen. Doch wie sollte man Testszenarien umsetzen, wenn es keinen Prototyp gab?

IBM entschloss sich, einen Prototyp zu simulieren. Testpersonen sprachen einzelne Worte und Sätze in die dafür vorgesehenen Mikrofone und zeigten sich begeistert, als diese quasi in Echtzeit auf dem Bildschirm erschienen – nur dass keine Technik dieses „Wunder“ vollbrachte, sondern eine Person in einem Nebenraum, die die gesprochenen Worte in die Tastatur hämmerte. Der Test zeigte Stärken und Schwächen der innovativen Idee auf und bewirkte, dass IBM bei der weiteren Entwicklung der Spracherkennung deutlich weniger Ressourcen einsetzen musste als zunächst vermutet.

Pretend-to-Own: Bevor du etwas baust, leih dir die dafür nötigen Dinge oder bereits existierenden Produkte und teste sie. Diese Methode bewahrt innovative Köpfe vor vorschnellen Investitionen. Bevor man etwas kauft (Equipment, Tools usw.) und in die Produktentwicklung investiert, schaut man, wie man eine kostengünstige, am besten kostenlose Alternative findet.

Re-Label: Setze dein Logo auf ein existierendes Produkt, das dem Produkt gleicht, das du bauen willst. Mit diesem Vorgehen lässt sich gut erforschen, ob es für eine Produktidee einen Markt gibt oder nicht. Die Methode eignet sich z.B., wenn man bestehende Produkte abwandeln und damit neue Kundengruppen erschließen will, z.B. durch das Angebot einer vereinfachten und kostengünstigeren Variante.

Fazit

Pretotyping folgt den gleichen oder ähnlichen Prinzipien wie z.B. Lean Start-up, Agile oder Design Thinking. Die Stärke des Vorgehens liegt in der kurzen Distanz zwischen Idee und Realisierung. Die Schwelle zur Umsetzung ist beim Pretotyping extrem niedrig. Daher können zahlreiche Ideen ausgetestet werden, und es ist nicht schlimm, wenn etwas daneben geht. Im Gegenteil: Pretotyping unterstützt das „schnelle Scheitern“ und hält so die finanziellen und emotionalen Aufwände von Innovationsprojekten in überschaubaren Grenzen.

Copyright Foto: Setzwein IT-Management GmbH

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