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Purpose: Das sinngetriebene Unternehmen




 

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Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, sagt Margret Atwood. Nun ist es also das „sinngetriebene Unternehmen“, das sich als aktueller Management-Trend anschickt, den Beratermarkt zu erobern. Der Widerhall längst verjährter Diskussionen um Leitbilder und Missionen ist nicht zu überhören. Und doch ist etwas anders. Während sich die Leitbilder früherer Zeiten nach innen richteten und Fragen nachgingen wie „Wer sind wir?“ oder „Wofür stehen wir?“, geht es beim Purpose Driven Enterprise um einen übergeordneten Sinn und Zweck. Die Fragen, die nun gestellt werden, lauten „Warum gibt es uns?“ und „Welchen Wert bringen wir in die Welt?“.

Was steckt hinter purpose driven?

Das Schicksal von Leitbildern und Missionen dürfte den meisten noch geläufig sein: Nach zähem Ringen und oft noch zäheren Workshops wurden nicht selten platte Aussagen formuliert, die auf der Unternehmenswebsite und in Imagebroschüren landeten, um anschließend in der Versenkung zu verschwinden. „Wir verstehen uns als Vorreiter für innovative Produkte und sind ein zuverlässiger Partner für unsere Kunden.“ Das interessiert wirklich niemanden, und über das Identifikationspotenzial oder die emotionale Anziehungskraft solcher Statements braucht man gar nicht erst nachzudenken.

Bei der Suche nach dem Purpose soll nun alles anders werden. Hier wird es existenziell. Unternehmen definieren ihren Daseinszweck. Und dabei wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Unternehmen sollen Orte sein, an denen Menschen zusammenkommen, um täglich mit großer Begeisterung und höchstem Elan an Produkten und Dienstleistungen zu arbeiten, die für sie selbst, alle Kunden und Geschäftspartner, das Unternehmen, die Gesellschaft und unseren gesamten Planeten Sinn stiften und Wert schaffen. Punkt. Das habe ich mir jetzt nicht ausgedacht, sondern so oder so ähnlich werben Organisations- und ManagementberaterInnen für ihre Dienstleistungen in Sachen Purpose Driven. Wenn manches Leitbild einst zu Größenwahn neigte („Wir sind die unangefochtene Nr. 1“), was soll man dann bloß dazu sagen?

Nun, manche werden darin die gute Absicht erkennen und vielleicht sagen, die Zeitenwende fordere nicht weniger. Andere mögen solche Aussagen als mehr oder minder geschicktes Marketing sehen und sich fragen, ob Purpose Driven nicht einfach eine more-sexy-Variante des alten Leitbilds ist – und der Purpose von Purpose Driven letztlich einem ökonomischen Interesse folgt, wenn behauptet wird, sinngetriebene Unternehmen seien wirtschaftlich (!) erfolgreicher – Gewinnmaximierung mit anderen Mitteln. Und wieder andere werden vielleicht die Achseln zucken und darauf hinweisen, dass die Bedeutung von Unternehmen als Sinnstifter im Leben von Menschen möglicherweise überschätzt wird.

Sind sinngetriebene Unternehmen erfolgreicher?

Gern wird behauptet, sinngetriebene Unternehmen hätten einen Wettbewerbsvorteil, weil ihre MitarbeiterInnen engagierter seien. Doch das gleichzeitige Auftreten zweier Phänomene sagt noch nichts über einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden aus. In Statistikvorlesungen wird dafür gern das Beispiel von der Korrelation der Geburtenrate mit der Anzahl der Störche in irgendeinem Dorf bemüht. Die Beobachtung, dass sinngetriebene Unternehmen eine im Vergleich zu anderen Firmen ca. viermal höhere Wachstumsrate aufweisen (vgl. die Studie „People on a Mission“ vom Korn Ferry Institute 2016), kann als Indiz, nicht aber als valider Beleg dafür gelten, dass Purpose und Performance kausal zusammenhängen.

Wissenschaftlich nachweisen lässt sich jedoch, dass das individuelle Sinnempfinden der MitarbeiterInnen in einem Unternehmen einen Einfluss auf ihre persönliche Produktivität hat. (Was wiederum nicht automatisch heißt, dass das Unternehmen daher erfolgreicher ist). Hierzu gibt es verschiedene Forschungsarbeiten, teils schon aus den 1980er und 90er Jahren. Eine aktuelle Studie von Claudine Gartenberg, Andrea Prat und George Serafeim, die in der Januar-/Februarausgabe 2019 der Zeitschrift Organization Science erschienen ist, führt in die gleiche Richtung. Nachdem die WissenschaftlerInnen zunächst keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Purpose und dem finanziellen Erfolg von Unternehmen feststellen konnten, unterzogen sie die in Interviews gesammelten Daten einem anderen methodischen Vorgehen (Faktorenanalyse) und kamen u.a. zu dem Ergebnis, dass nicht unbedingt der Purpose selbst, sondern die Klarheit und Bestimmtheit, mit der das Management und die Führungskräfte den „Sinn“ kommunizieren und umsetzen, erfolgsentscheidend sind.

Doch auch wenn der Zusammenhang zwischen dem individuellen Sinnempfinden und der Produktivität am Arbeitsplatz als gesichert gelten kann, schließt sich sofort die nächste Frage an: Wann wird Arbeit überhaupt als sinnvoll empfunden?

Wann wird Arbeit als sinnvoll empfunden?

Wohl nur sehr wenige Menschen finden Gefallen an sinnentleerten Routinen oder produzieren gern Ergebnisse für den Papierkorb. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen einen Beitrag zum „großen Ganzen“ leisten, sei es in einem Projekt oder einer Abteilung. Sie wollen wissen, in welcher Weise die Aufgaben, an denen sie arbeiten, zum Erfolg eines Vorhabens oder eines Unternehmens beitragen. Und hier braucht es gar keinen übergeordneten Unternehmenszweck, der „Sinn und Wert in die Welt trägt“. Zu wissen, welches die übergeordneten Ziele sind und welche (strategische) Bedeutung diese für das Unternehmen haben, eingebunden zu sein in die Erarbeitung von Fragestellungen und Lösungen, die eigenen Fähigkeiten einbringen zu können, Freiräume bei der Umsetzung von Teilzielen zu haben usw. – das alles sind wichtige Faktoren, die das Sinnempfinden am Arbeitsplatz positiv beeinflussen. Und hier ist in sehr vielen Unternehmen noch deutlich Luft nach oben, was z.B. die Kommunikation, Transparenz oder das Führungsverständnis angeht. (Bevor es an den Purpose geht, vielleicht doch erst einmal um die Basics kümmern?)

Ob eine Person ihre Berufsarbeit als sinnvoll erlebt, hängt aber auch noch von ganz anderen Dingen ab, z.B.:

  • Erlebte Gemeinschaft: Die Zusammenarbeit mit netten KollegInnen, der Zusammenhalt im Team, der Austausch auch über private Themen und dergleichen sind für viele Menschen eine wichtige Sinnquelle am Arbeitsplatz.
  • Entwicklungsmöglichkeiten: Wenn Fähigkeiten gefördert und der Erwerb neuer Kompetenzen ermöglicht werden, wenn fachliches und persönliches Wachstum stattfinden können, wenn individuelle Entwicklungsperspektiven gefunden werden, hat dies einen starken sinnstiftenden Effekt für MitarbeiterInnen.
  • Eigene Werte und Motive: Arbeiten in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Motiven führt dazu, dass die Arbeit als sinnvoll erlebt wird. Diese Werte und Motive können ganz unterschiedlich und vom Sinn, den das Unternehmen selbst gern stiften möchte, völlig unabhängig sein. Für manche zählt vielleicht ein Motiv wie Status (hohes Einkommen, gehobene Reisetätigkeit, Zugehörigkeit zu „höheren“ Kreisen, Exklusivität von Kunden und Produkten), für andere vielleicht ein Motiv wie Wissen (Beteiligung an Innovationen, intellektuelle Freiräume, herausfordernde Aufgaben, ausgeprägte Lern- und Wissenskultur).

Risiken sinngetriebener Unternehmen

Abgesehen davon, dass der sinnstiftende Charakter von Arbeit nicht an den Purpose eines Unternehmens gebunden ist, birgt das Konzept sinngetriebener Unternehmen auch Risiken, die in der aktuellen Debatte gern ausgeblendet werden. Die Risiken liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Für Unternehmen kann die Bindung an einen Purpose bedeuten, dass seine Flexibilität und damit seine Wandlungsfähigkeit leidet. Ein Unternehmen, dessen MitarbeiterInnen sich stark mit einem bestimmten Unternehmenszweck identifizieren, hat es schwerer, sich veränderten Markt- und Umweltbedingungen anzupassen. Solche Probleme habe ich schon in Unternehmen erlebt, lange bevor es den Begriff Purpose Driven überhaupt gab.

Für die MitarbeiterInnen von sinngetriebenen Unternehmen besteht vor allem das Risiko der (Selbst-)ausbeutung. Wo ein übergeordneter Unternehmenszweck Wert in die Welt trägt, erscheinen geregelte Arbeitszeiten, bezahlte Überstunden oder ein geschützter Privatbereich geradezu kleinkariert. Man kann das vor allem bei Start-ups und in der Agenturszene gut beobachten, wo die Bereitschaft, höchsten persönlichen Einsatz für die Organisation zu leisten, erwartet und gefordert wird. Zum Teil nimmt der Kult um den Purpose quasi-religiöse Züge an. Spätestens dann gilt Alarmstufe Rot, denn es sollte nicht Aufgabe von Unternehmen sein, ihren MitarbeiterInnen „Lebenssinn“ zu stiften.

Zum Weiterlesen:

  • Claudine Gartenberg et al. (2019): Corporate Purpose and Financial Perfromance, Organization Sience, Vol. 30, No. 1
  • Korn ferry Insitute (2016): People on a mission
  • Heiko Weckmüller (2019): Corporate Purpose: Mode oder Must-Have?, in: Wirtschaft und Weiterbildung, 10/19

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