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Führungsfalle Selbstorganisation




 

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Aus agilen Projekten ist sie nicht wegzudenken und auch sonst besitzt die Idee selbstorganisierter Teams große Anziehungskraft. Als Gegenentwurf zu bürokratischer Hierarchie und rigider  (Über-)Steuerung lockt sie mit Freiräumen, Selbstbestimmtheit, wertschätzenden Beziehungen, Vertrauen und einvernehmlichen Entscheidungsfindungen. Das klingt gut, funktioniert in der Praxis oft leider aber eher mäßig und schon gar nicht reibungslos. Für viele Projektmanager, Scrum Master usw. wird Selbstorganisation zur Führungsfalle.

Die Verfechter selbstorganisierter Teams berufen sich gern auf einen beachtlichen Überbau an systemtheoretischen Denkweisen und Modellen, der, so mein Eindruck, oft aber eher weniger durchdrungen wurde, was sich u.a. an einer ständigen Reproduktion vorhandenen Halbwissens und in einer Reihe von Missverständnissen zeigt.

Eines dieser Missverständnisse ist der „sozialromantische Mythos von Gleichheit“, mit dem Bernd Oestereich in seinem gleichnamigen, luziden Blogartikel aufräumt. Selbstorganisation bedeutet eben NICHT Gleichberechtigung und egalitäre Beziehungen. Sie bedeutet auch nicht Selbstverwirklichung und Nutzung aller Potenziale. Würde sich jedes Teammitglied nur an seinen eigenen Potenzialen orientieren, sich also nur um das kümmern, was ihm besonders viel Spaß macht oder es voranbringt, dann gäbe es schon in kurzer Zeit und selbst in kleinsten Teams eine schier unüberschaubare Menge an Handlungen, die nicht mehr aneinander anschlussfähig wären – das Ende jeder Produktivität. In diesem Sinne ist jede Form der Organisation notwendig repressiv. Darin gründet ja gerade ihre Nützlichkeit.

Die Arbeit in selbstorganisierten Teams erfordert im Gegenteil in hohem Maße Fähigkeiten – und ja, sagen wir es offen: Tugenden, die weit weniger sexy klingen als beispielsweise der so oft ins Zentrum gerückte agile Wertekanon. Gefordert sind nämlich Disziplin, Leistungswille, Zuverlässigkeit, Konfliktfähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Verantwortungsbereitschaft, Entscheidungsfähigkeit. Auch wenn es selten ausgesprochen wird: Das überfordert viele – und macht Führung durch gestaltenden Einfluss von außen nötig.

Ein weiteres Missverständnis ist die negative Konnotation von Hierarchie. Hierarchie ist per se weder gut noch schlecht – sie ist ein Phänomen, das bestimmte soziale Funktionen erfüllt. Sie schafft Ordnung, reduziert Komplexität – und ist unumgänglich. Egalitäre Beziehungen in Reinkultur sind eine Kopfgeburt. Auch in selbstorganisierten Teams bilden sich rasch Hierarchien aus. Mehr noch: Selbstorganisation fördert in sich die Ausbildung von Machtverhältnissen – was ihre Steuerung erschwert. Hinzu kommt: Während ich bei der formalen Hierarchie Verantwortung explizit adressieren kann, begründet die informelle Hierarchie in selbstorganisierten Teams Machtpositionen, die eine Übernahme von Verantwortung nicht unbedingt implizieren.

In vielen Unternehmen umweht selbstorganisierte Entwicklungsteams der Nimbus des Sakralen: bloß nicht antasten! Ich habe schon verzweifelte Projektleiter und ScrumMaster erlebt, die unter der schlechten Leistung ihrer Teams oder unablässigen Querelen zwischen einzelnen Teammitgliedern litten. Das Management wollte Ergebnisse sehen, Kundenbeziehungen standen auf der Kippe – doch ein Machteingriff kam für die Kollegen nicht in Frage. Man wollte auf keinen Fall „den Prozess verletzen“ – dann doch schon eher Arbeitsplätze riskieren. Nur dass das in dieser Konsequenz natürlich keiner sagt.

Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass in jüngster Zeit Fortbildungsangebote für Projektleiter, „Agile Coachs“,  Scrum Master zum Thema „Agile Führung“ nur so wie Pilze aus dem Boden sprießen. Man kann der Führungsfalle nicht entgehen, indem man sich hinter einem „Prozess“ verschanzt oder nur „dienend“ in Erscheinung tritt (als „servant leader“). Allerdings helfen auch Fortbildungen, die Elemente der systemischen Beratung wie z.B. Coaching- und Fragetechniken aufgreifen, hier nur sehr begrenzt weiter. Es ist zwar nützlich, als Führungskraft über derartige Ressourcen zu verfügen. Doch Coaching kann Führung nicht ersetzen! Als Coach gebe ich kein Ziel vor, als Coach bin ich keinem Interesse verpflichtet. Da bin ich wirklich nur Prozess, Werkzeug. Als Führungskraft hingegen bin ich meinem Unternehmen verpflichtet, dem Geschäftserfolg, meinen Mitarbeitern, den Kunden usw. Ich setze Themen und Ziele, bündele die Aufmerksamkeit meines Teams, organisiere Beziehungen und Kommunikation.

Vielleicht hilft es ja, sich einmal in Erinnerung zu rufen, was „Führung“ eigentlich meint. Die Managementliteratur ist hier nicht gerade geizig mit Definitionsversuchen. Mir gefällt aber nach wie vor eine Definition von Vance Packard aus den frühen 60er Jahren. Der für seine soziologischen Essays bekannte Publizist formuliert schnörkellos und praxistauglich: „In ihrem Wesen scheint Führung die Kunst zu sein, andere dazu zu bringen, etwas zu wollen, wovon du überzeugt bist, dass es getan werden sollte.“

Die Wege, dies zu erreichen, können sehr unterschiedlich sein. Man braucht sicher kein Anhänger der „Systemtheorie“ (die es im Singular im übrigen überhaupt nicht gibt!) zu sein, um zu wissen, dass eine direkte Einflussnahme auf Menschen nur in Grenzen funktioniert. Man muss sich, zumal als Führungskraft, aber seiner Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens bewusst sein, und dazu gehört, dass man auch zu Machteingriffen bereit ist, um Blockaden zu lösen, Stillstände zu beenden, Ergebnisse zu erzielen. Bei aller Begeisterung für postheroische Managementmethoden denke ich: Auf Frauen und Männer mit Macherqualitäten kann kein Unternehmen verzichten.

 

 

Quelle Foto: © freshidea – Fotolia.com

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