Gewissensmanagement
21. Februar 2011
Als ich neulich bei einer Tasse Kaffee zwei Kollegen erzählte, mein nächster Blogartikel würde sich mit Gewissensmanagement befassen, sah ich schlagartig in ratlose Gesichter. Nachdem die Fragezeichen sich verflüchtigt hatten, gab es Protest: „Gewissen kann man doch nicht managen!“ Moralische Entrüstung und logisch-theoretische Argumente wechselten sich ab. „Wunderbar“, dachte ich, „was für ein klasse Thema“, und die ersten Ideen waren geboren.
Auf den ersten Blick erscheint das Gewissen als etwas so Individuelles, Persönliches, Intimes, dass eine Verbindung mit dem Begriff „Management“ Empörung auslöst. Wir sprechen ja auch von der „Gewissensfreiheit“ des Einzelnen und betrachten das Gewissen als eine quasi autarke moralische Instanz. Gemanagte Moralität wirkt daher zunächst einmal monströs. Das ist verständlich – und doch nur die eine Seite der Medaille.
Neben dem persönlichen Gewissen gibt es auch kollektive Ausdrucksformen von Gewissen. Denken Sie nur etwa an die öffentlichen Debatten über die gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Unternehmen. Gewissenlosigkeit als Folge von Gier ist selbst im ökonomischen Diskurs heute nicht mehr gut gelitten. Von Unternehmen wird zunehmend erwartet, dass sie nicht nur den Marktgesetzen und einer wirtschaftlichen Logik folgen, sondern dass sie sich auch an moralischen Maßstäben orientieren. Umweltschutz, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, dies sind Beispiele der geforderten organisationalen Moralität. Wie aber entwickelt man ein kollektives Unternehmensgewissen? Dass dies keine triviale Angelegenheit ist, zeigt die Forschungsarbeit des Wiener Soziologen Paul Reinbacher, der die Bedingungen zur Herausbildung einer Corporate Social Responsibility in Wirtschaftsunternehmen untersuchte. Man muss nicht in die Details gehen, um zu begreifen, dass „Management“ hierbei unverzichtbar ist. Das kollektive Gewissen muss gemanagt werden.
Wie das kollektive, so ist auch das persönliche Gewissen eine Instanz, die nicht einfach so „da“ ist, sondern sich in sozialen Prozessen erst herausbildet. Unser Gewissen ist eine Art „Abdruck der Gesellschaft im Innern des Menschen“ (Norbert Elias). Es ist an moralischen Standards orientiert, die sich aus Werten, Normen, Sitten, Glaubensvorstellungen etc. ableiten. Das Gewissen befähigt den Menschen, „sich selbst und seine Handlungen retrospektiv und prospektiv nach bestimmten Standards zu beurteilen und dabei die Diskrepanz zwischen dem Standard und dem eigenen Handeln als Schmerz, Angst, Unlust, insbesondere als Schuld- oder Schamgefühl, zu erfahren.“ (Prof. Dr. Helmut Thome, Institut für Soziologie der Universität Halle-Wittenberg)
Auf diese Weise erfüllt das Gewissen wichtige soziale Funktionen. Es sorgt z.B. für Zugehörigkeit und Bindung, indem Menschen bestimmte Werte und Moralvorstellungen teilen – und von „Gewissensbissen“ geplagt werden, wenn sie davon abweichen. Außerdem werden so bestehende Ordnungen aufrechterhalten. Wer bestimmte Spielregeln und Normen nicht einhält, gerät in Gewissensnöte. Wer sein Handeln hingegen nach den geltenden Standards ausrichtet, wird mit einem „reinen“ Gewissen belohnt. Das Gewissen dient also, soziologisch gesprochen, der sozialen Integration und der sozialen Kontrolle. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Das heißt nicht, dass das Gewissen einfach gleichzusetzen ist mit dem gehorsamen Befolgen von Gesetzten und Geboten. Dem Gewissen zu folgen kann sogar das Gegenteil bedeuten.)
Auf die Frage der organisationalen Moralität übertragen bedeutet dies, dass ein „Unternehmensgewissen“ als die Fähigkeit der Organisation, sich selbst nach bestimmten Standards zu beurteilen und die Diskrepanz zu den Standards als „Schmerz“ zu erfahren betrachtet werden kann – mit den entsprechenden sozialen Funktionen. Diese Überlegungen sind natürlich noch nicht ausgereift, doch ich halte das Thema Gewissensmanagement/organisationale Moralität für so wichtig und so spannend, dass ich es hier einmal vorstellen wollte. Und es muss ja auch nicht gleich der ganz große Wurf werden. Wie wäre es denn, erst einmal „im Kleinen“ anzufangen, z.B. in Projekten, in den Teams, bei uns selbst? Was braucht man denn, um ein „Teamgewissen“ herzustellen und „an der Hand zu führen“ (= manus agere, Lat. Ursprung von Management)? Durch das mittlerweile doch sehr fade Herunterrattern der Scrum-Werte im manchen Projekten ist m.W. noch keine moralische Integration der Beteiligten gelungen.
Ich wünschte mir, man würde das „Gewissen“ viel häufiger zum Thema machen und das eigene Handeln (individuell wie kollektiv) auch in Unternehmen und Projekten dahingehend reflektieren. Vielleicht geht es ja dabei auch nicht nur um die Frage, wie ein Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen kann, sondern auch darum, wie Menschen die Verantwortung für „ihr“ Unternehmen gestalten können. Wie gesagt: Aus meiner Sicht gibt es hier reichlich Diskussionsstoff. Und ich freue mich auf Mitstreiter, die Lust haben, einmal darüber nachzudenken, wie ein Umgang mit dem persönlichen und dem kollektiven Gewissen in Unternehmen oder Projekten aussehen könnte.
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