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Willkommen in Flachland, unserer schönen neuen Welt!




 

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Vision oder Wirklichkeit?

Kennen Sie die schöne neue Welt der Kreativitätsindustrie? Willkommen in Flachland!

In Flachland gibt es keine Hierarchien und keine Manager. Die Mitarbeiter organisieren ihren Arbeitsalltag selbst. Alle Projekte werden von den Teilnehmern selbst gesteuert. Jeder ist zur Mitarbeit an jedem Projekt eingeladen und entscheidet selbst über seine Teilnahme. Die Projektinformationen werden durch direkte Kommunikation, also Gespräche von Angesicht zu Angesicht, ebenso geteilt wie die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter.

In Flachland liegt es an allen Mitarbeitern selbst, auf die langfristigen, nachhaltigen Ziele des Unternehmens zu fokussieren. Strukturen ergeben sich, aber ihre Lebensdauer ist begrenzt und gering. Fehler sind gewünscht, denn diese bieten die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Verbesserung.

In Flachland wird die Leistung eines jeden Mitarbeiters durch Interviews mit allen Kollegen ermittelt, mit denen seit der letzten Einschätzung zusammengearbeitet worden ist. Aus der anonymisierten Bewertung der technischen Fähigkeiten, der Produktivität, dem Beitrag zur Gruppe und dem Anteil am Produkt ergibt sich eine Rangliste, die direkten Einfluss auf das Gehalt hat. Dieses entspricht somit dem tatsächlichen Wert der eigenen Leistung.

In Flachland werden nur Personen eingestellt, die besser sind als die Einstellenden. Eine angemessene Mischung aus Spezialistenwissen und Wissen in der Breite wird bevorzugt.

In Flachland gelten Überstunden als Zeichen grundsätzlichen Versagens bei der Planung oder der Kommunikation, und das Land ist so sehr in Bewegung, dass alle Schreibtische Rollen haben, und der aktuelle Aufenthaltsort durch die IP des Schreibtisches  auf einem zentralen Lageplan angezeigt werden muss.

In Flachland wird von allen Mitarbeitern eine ausgewogene Work-Life-Balance gefordert. Zum Arbeiten muss Flachland der beste Platz auf Erden sein.

Führerlose Führung

Diese Beschreibung entsprang weder meiner eigenen Eingebung (leider!) noch der Feder eines Utopie-Bestsellerautors, sondern sie steht ähnlich im sehr lesenswerten „Handbook for new employees“ des Computerspieleherstellers Valve. Valve scheint mit dieser Art der führerlosen Menschenführung sehr erfolgreich zu sein, denn immerhin schaffte Firmenchef Newell es im März 2012 mit einem geschätzten Vermögen von 1,5 Milliarden US-Dollar auf Platz 854 der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Erde –  ein vorderer Platz in der Valve-Rangliste lohnt sich also.

Allerdings scheint man bei Valve erkannt zu haben, dass erfolgreiche Selbstorganisation eine Ausrichtung erfordert – klare Ziele, die es zu erreichen gilt. Aus diesen ergeben sich schnell Leitsätze, Regeln, ein Rahmen innerhalb dessen sich die Mitarbeiter bewegen. Den neuen Valve-Mitarbeitern werden daher in dem Büchlein wichtige Hilfestellungen zur Entscheidungsfindung gegeben. Für die Projektwahl gilt zum Beispiel:

  • Was ist das Wertvollste in allen derzeit laufenden Projekten, an dem ich arbeiten kann?
  • Welches Projekt hat die höchsten direkten Auswirkungen auf unsere Kunden?
  • Wie sehr wird ihnen die von mir beigesteuerte Arbeit nützen?
  • Tut meine Firma etwas nicht, was sie tun sollte?
  • Was nutzt meine individuellen Stärken am meisten?

Bei der Wahl der „richtigen“ neuen Mitarbeiter sind unter anderem folgende Fragen zu beantworten:

  • Möchte ich diese Person als Chef haben?
  • Würde ich Dinge in erheblichem Umfang von dieser Person lernen?
  • Was wäre, wenn diese Person zu unserer Konkurrenz ginge?

Derlei Leitfragen gibt es in dem Handbuch viele und letztendlich setzen alle Entscheidungen der Mitarbeiter voraus, dass diese sie nach dem Nutzen für die Firma ausrichten. Wünschen Sie sich solche Mitarbeiter nicht auch? Valve scheint es geschafft zu haben, eine entsprechende Unternehmenskultur bei den Mitarbeitern zu etablieren, ein Mindset stetiger persönlicher Neuausrichtung zum Wohle der Firma, das sich im Einklang mit den Bedürfnissen und intrinsischen Motivationsfaktoren der Mitarbeiter befindet.

Wandern Sie aus!?

Halten Sie die dargestellten Ansätze wie 360-Grad-Feedback, Gehaltsfestlegung durch Gruppen, Bevorzugung von T-shaped Skills oder Projekt-Pull-Prinzip für umsetzbar? Haben Sie Ihre Reise nach Flachland vielleicht schon gebucht? Nur One-way? Mit Zwischenstopps?

Oder schreckt Sie der Gedanke ab, dass der Zwang tiefer Hierarchien und fordernder Manager ersetzt wird durch den oft noch intensiveren Zwang der Gruppe. Kaum auszudenken, wenn Werte wie Offenheit, Mut und Respekt einmal verloren gehen, oder? Was passiert dann eigentlich mit den letzten 5 Prozent der Rangliste? Aber dann gibt es vielleicht doch korrigierende Gleiche, die noch etwas gleicher sind als andere Gleiche.

Wie auch immer man zu den Vorstellungen von Valve steht, zumindest die ca. einstündige Lektüre des Reiseführers kann ich bedenkenlos und uneingeschränkt empfehlen. Die Anreise mag dann etwas beschwerlicher sein.

 

Quelle Foto: © eyewave – Fotolia.com

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