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Ambidextrie – Lösung für das deutsche Innovationsdilemma?




 

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Deutsche Konzerne werden immer wieder für ihre mangelnde Innovationskultur und digitale Rückständigkeit kritisiert. Kein Wunder, denn im Vergleich zu US-Unternehmen ist die Internetwirtschaft Deutschlands ziemlich unterentwickelt. Das neue EFI-Gutachten (Expertenkommission Forschung und Innovation) zeigt, dass die Marktkapitalisierung der US-amerikanischen Internetwirtschaft mit 1.159 Milliarden Euro derzeit mehr als 34 Mal höher ist als die deutscher Internetfirmen (34 Mrd.). Allein die Marktkapitalisierung von Alphabet Inc. übertrifft die aller deutschen Unternehmen in der gesamten digitalen Wirtschaft. In den letzten 10 Jahren lag die Wachstumsrate in diesem Bereich in den USA bei +365%, in Deutschland bei vergleichsweise moderaten +166%.

Innovationsfähigkeit ist überlebensnotwendig

Die ExpertInnen zeigen sich in ihrem Bericht entsprechend alarmiert. Denn deutsche Unternehmen haben in den letzten Jahrzehnten nicht nur in den klassischen Informations- und Kommunikationstechnologien an Boden verloren. Viel gravierender ist, dass es deutschen Unternehmen offenbar nicht gelingt, in der digitalen Wirtschaft richtig Fuß zu fassen. Wer hier jedoch den Anschluss verpasst, hat im globalen Wettbewerb schlechte Karten. Die digitale Transformation schreitet voran und wartet nicht auf Nachzügler. Sie hat Wirtschaft und Gesellschaft bereits verändert und wird dies weiter tun: Marktstrukturen werden zerstört, Arbeitsplätze gehen verloren, Geschäftsmodelle müssen radikal neu gedacht werden, Maschinen ersetzen Menschen, die Zahl von Festangestellten sinkt, Kerntätigkeiten von Unternehmen sind zunehmend daten- und IT-abhängig.

Innovationsfähigkeit entscheidet heute mehr denn je über Sein oder Nicht-Sein. Es liegt somit nahe, sich die erfolgskritischen Faktoren von Innovation einmal genauer anzuschauen. Eben dies hat die international agierende Unternehmensberatung detecon in Zusammenarbeit mit der TU München getan. In einer Kombination aus Onlinebefragung, Experteninterviews und Workshops gingen sie der Frage nach, wie insbesondere Konzerne mit ihren auf Effizienz und Standardisierung ausgerichteten Strukturen Innovationen hervorbringen können. An der qualitativen Studie haben sich 71 MangerInnen bzw. Innovationsexperten aus Unternehmen wie SAP, Henkel, Deutsche Telekom und Metro beteiligt. Herausgekommen ist ein vor wenigen Wochen publizierter Bericht, der sich mit dem Ausspruch eines Teilnehmers zusammenfassen lässt: „Efficiency eats innovation culture for breakfast.“

Effizienz vs. Innovation

Die auf Effizienz, Produktivität und Konformität fokussierten Konzernstrukturen stehen radikalen Innovationen im Wege. Wachstum entsteht hier vorrangig über inkrementelle Optimierungen. Ihre Innovationskultur ist geprägt von am Ausschöpfen orientierten sog. Exploit-Strategien. Ganz anders sieht hingegen die Innovationskultur der erfolgreichen digitalen Herausforderer aus. Hier stehen Agilität, Kreativität und Risikobereitschaft im Fokus. Ihre Strukturen sind gemacht für disruptive Innovationen, also echte Durchbruchsinnovationen, die Marktstrukturen aufbrechen, ganze Branchen erschüttern und selbst das eigene Geschäftsmodell kannibalisieren können. Ihre Innovationskultur ist geprägt von sog. Explore-Strategien, die auf das Erkunden und Entdecken von Neuem setzen.

Effizienzkultur Innovationskultur
Konzern Start-up
Produktivität Kreativität
Bewährtes / Standards Neues / Unbekanntes
Exploit-Strategien Explore-Strategien
Inkrementelle Innovationen Disruptive Innovationen

Ambidextrie – Kombination der Kulturen

In der Kombination beider Kulturen  – der „Ambidextrie“ – soll nun die Lösung für das Innovationsdilemma der deutschen Konzerne liegen. Doch wie soll das gehen? Involviert werden müssen alle erfolgskritischen Elemente der Innovationskultur. Dazu gehören strukturelle Elemente wie (1) die strategische Ausrichtung, (2) das Management der Prozesse und (3) der Umbau organisationaler Einheiten ebenso wie personelle Elemente, namentlich (4) der Führung und (5) der Aufbau eines Innovationsteams.

Aus den im Rahmen der Studie durchgeführten Interviews und Workshops lassen sich folgende Maßnahmen und Empfehlungen ableiten:

(1) Strategie

  • Die Einführung einer ambidexteren Innovationsstrategie in Konzernen wird dringend empfohlen.
  • Explore-Strategien sollen in abgegrenzten Bereichen, losgelöst von Konzernstrukturen und -prozessen, abgebildet werden.
  • Am besten eignen sich für disruptive Ideen selbständige, agile Einheiten mit Start-up Charakter.

(2) Organisation

  • Ambidextrie erfordert definierte Schnittstellen in der Organisationsstruktur.
  • Die Verlinkung agiler Einheiten mit dem Konzern muss sichergestellt werden.
  • Die Schnittstellenfunktionen müssen mit Personen besetzt sein, die visionär denken können, gute Marktkenntnisse haben, nach innen und außen gut vernetzt sind und auch operativ sicher agieren können.
  • Ideen müssen nah am Entscheider sein. Idealerweise hängt die Innovationsabteilung direkt unter dem Vorstand. Der Vorstand muss Sponsor disruptiver Ideen sein.
  • Flache Hierarchien, kurze Entscheidungszyklen, einfache Abstimmungswege und unbürokratische Budgetfreigaben sind hilfreich.

(3) Prozesse

  • Es sollten iterative Prozesse und agile Methoden eingeführt werden.
  • Es sollte mit externen Partnern, z.B. mit Experten aus den Innovationshotspots, mit Universitäten oder mit den Kunden kooperiert werden („Open Innovation“).
  • Das Potential digitaler Plattformen und Tools für eine bereichsübergreifende Kooperation sollte stärker genutzt werden. Dazu müssen MitarbeiterInnen systematisch trainiert werden.

(4) Führung

  • Die Risikobereitschaft der Führungskräfte muss gefördert werden, z.B. durch eine entsprechende Fehlerkultur oder eine Honorationskultur für Risiken.
  • Zielsysteme und Anreizsysteme für Führungskräfte müssen umgebaut werden. Der größte Anreiz besteht oft in der Freiheit, eigene Ideen entwickeln zu können. Ein angemessenes Budget, Wertschätzung und Vertrauen gehören dazu.
  • Führungskräfte müssen die Paradoxie von „Fehler wertschätzen“ und „Fehler vermeiden“ (im Kerngeschäft des Unternehmens) aushalten können. Dies wird eine der wichtigsten Führungsaufgaben der Zukunft sein.

(5) Team

  • Die Zusammensetzung des Innovationsteams ist entscheidend. Es sollte nicht mehr als fünf Personen umfassen und möglichst heterogen besetzt sein. Die erforderlichen Skills sind vom Unternehmen und der Branche abhängig. Außergewöhnliche persönliche Kompetenzen sind zu beachten.
  • Ideengeber müssen für die Arbeit an neuen Ideen (als end-2-end Projektleiter) von anderen Tätigkeiten freigestellt werden und nach Abschluss des Projektes in ihre Linie zurückkehren können. Hierfür müssen entsprechende Rahmenbedingungen (auch in Bezug auf Machtverhältnisse) geschaffen werden.

Fazit

Viele der angesprochenen Punkte sind natürlich nicht neu. Und Vieles wird bereits längst schon ausprobiert und umgesetzt. Wie erfolgreich eine ambidextere Strategie die deutschen Konzerne aus dem Innovationsrückstand befreien wird, bleibt indes abzuwarten. Sicher ist aber, dass der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle spielt. Es ist nicht weniger gefordert als ein Kulturwandel – und das dauert bekanntlich. Während verkrustete Strukturen und eingefahrene Mindsets langsam in Bewegung kommen, beschleunigt sich der globale Wettbewerb durch Start-ups und netzwerkartig organisierte Unternehmen immer mehr. In einer langfristigen Perspektive ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass konzernartig organisierte Unternehmen der Vergangenheit angehören werden.

Zum Weiterlesen:

Quellen:

  • Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation 2015
  • Studie „Die Innovationskultur von Konzernen“ (detecon / TU München), 22.03.2016

Quelle Foto: @beeboys – Fotolia.com

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