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Der Spotlight Bias




 

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Wir überschätzen das Maß, mit dem andere Menschen unseren Handlungen und unserem Auftreten Aufmerksamkeit schenken. Diese fehlerhafte Neigung im Bewerten nennt sich Spotlight Bias. Ursprünglich untersucht wurde diese Neigung in einer Studie von Gilovich und Medvec (s.u.). Versuchspersonen wurden angewiesen, ein T-Shirt mit einem Bild von Barry Manilow zu einer Lesung anzuziehen. Vorher wurden sie gefragt, wieviele Teilnehmer der Lesung ihr imposantes Auftreten wahrnehmen würden. Im Schnitt schätzten die Probanden dieses Maß auf ca. 50%. Tatsächlich waren es aber lediglich 25%, deutlich weniger also, als von den Versuchspersonen angenommen.

Als Manager oder Managerin mit viel Verantwortung fühlt man sich ständig im Mittelpunkt und unter Beobachtung, was sicherlich bis zu einem gewissen Maße auch den Tatsachen entspricht. Das Gefühl, ständig handeln zu müssen, die Person zu sein, die eine Antwort haben muss und das am besten sofort, kann auf der einen Seite motivieren:

  • Man wird gebraucht und kann deshalb seine Arbeit als sinnvoll erfahren. Wie bei SchauspielerInnen, die gerne im Spotlight stehen, sind Manager:innen meist Menschen, die gerne im Mittelpunkt stehen. Man müsste lügen, wenn man nicht zugeben würde, dass das eigene Selbstwertgefühl durch das Leben im Spotlight nicht gespeist würde.
  • Man lebt in dem Glauben, dass Entscheidungen und Anregungen aufgenommen und vielleicht gleich umgesetzt werden. Das ist ja der wesentliche Teil der Jobbeschreibung im Management. Die gefühlte Aufmerksamkeit gibt einem das Gefühl, die Arbeit richtig zu machen.
  • Das gute Gefühl im Spotlight wirkt verstärkend. Das ausgetretene Adrenalin lässt einen verstärkt handeln und entscheiden, was tatsächlich mehr Aufmerksamkeit des Teams und der Organisation erzeugt. Dies wiederum lässt die Lampe noch heller scheinen. Hilft dieser Kreislauf der Organisation und wird der betreffenden Führungskraft das Licht nicht irgendwann zu hell, so kann viel Positives in der Organisation und auch für die einzelne Führungskraft selbst bewirkt werden.

Auf der anderen Seite kann der Spotlight Bias, wenn man das Maß für die Aufmerksamkeit der anderen überschätzt, auch das eigene Entscheidungsverhalten als Manager oder Managerin negativ beeinflussen:

  • Weil man sich so im Scheinwerferlicht fühlt, wächst der Druck, Entscheidungen zu schnell, mit zu wenig Information und unüberlegt zu treffen.
  • Das ständige Agieren unter der gefühlt riesigen Aufmerksamkeit ist auch für die eigene Gesundheit nicht zuträglich. Der große Druck, der scheinbar da ist, muss ja irgendwie von Körper und Geist verarbeitet werden.
  • Man könnte zu oft denken, dass das eigene Handeln und Entscheiden schon überall vom Team und der Organisation wahrgenommen wurde. Dann achtet man nicht mehr ausreichend darauf, ob man richtig und überhaupt verstanden und wahrgenommen wird. Wochen später, wenn sich nicht die gewünschten Ergebnisse einstellen, ist es dann meist schon zu spät.

Besonders der erste Punkt sorgt häufig für ein Verhalten von Manager:innen, das je nach Gewicht der Entscheidung für erheblichen Schaden für die Organisation sorgen kann. Eine ähnliche Drucksituation kennt jeder, der aktiv am Straßenverkehr teilnimmt. Wer ist nicht schon einmal unverschuldet, weil der Verkehr unvermittelt nicht mehr weiter floss, mitten auf einer Kreuzung stehen geblieben. Gefühlt befindet man sich im Spotlight der ganzen Welt, behindert sämtliche Verkehrswege von Sidney bis Reykjavik, obwohl nur ein Bruchteil der Teilnehmer am Verkehr – nämlich die, die hupen – die zweifelsohne missliche Lage wahrnehmen.

Viele Menschen reagieren in einer solchen emotional angespannten Situation falsch. Zu schnell wird etwa vorwärts gefahren, doch da steht ein anderes Auto und man verursacht einen Auffahrunfall. Oder man fährt schnell nach rechts, um wenigstens ein paar Autos durchzulassen. Mit der Konsequenz einer kaputten Felge muss mensch dann leben. Oder noch schlimmer weicht man aus dem gleichen Grund nach links aus. Dort übersieht man einen Radfahrer, der eben noch angefahren kam und gefährdet ein Menschenleben. Jede der Entscheidungen, die man so im Spotlight getroffen hat, war zu schnell, mit zu wenig Information und hat nicht alle möglichen Alternativen einbezogen. Besser wäre in jedem Fall die Alternative gewesen, die mein Fahrlehrer mir in jungen Jahren immer wieder eindringlich beim Unterricht vermittelt hat: „Da, wo Du stehst, steht kein Anderer“. Das hat mir damals (und tut es noch heute) den Druck der Spotlight-Situation im Straßenverkehr genommen.

Doch was hilft einem als Führungskraft, die sich manchmal vergleichbar dem Scheinwerfer ausgesetzt sieht? Meiner Erfahrung nach ist das stark von der jeweiligen Persönlichkeit und der allgemeinen Situation, in der er oder sie sich im Unternehmen befindet, abhängig.

In jedem Fall können die folgenden 5 Strategien zum besseren Verhalten von Manager:innen beitragen:

1. Das Spotlight allgemein hinterfragen

Zunächst einmal ist es hilfreich, den Spotlight Bias zu kennen und sich ihn und das möglicherweise schlechte eigene Verhalten in Erinnerung zu rufen. Dabei können die folgenden Fragen helfen:

  • Wie stark werde ich innerhalb der Organisation gerade wahrgenommen?
  • Wie stark fühle ich mich gerade wahrgenommen?
  • Von wem fühle ich mich besonders wahrgenommen?
  • Was wird vermeintlich von mir erwartet?
  • Was erwarte ich von mir für die empfundene Stärke des Spotlight?

2. Andere Beobachtungsposition einnehmen

Stellen Sie sich vor, die ganze Situationen, in denen Sie sich im Spotlight befinden, finden auf einer Bühne statt. Sie sitzen im Theater ganz oben und beobachten die ganze Szene, alle Akteure, alle Kontexte, alle Handlungen, die nach und nach ablaufen. Mit folgenden Fragen können Sie sich unterstützen:

  • Wie bewerte ich die Abläufe jetzt?
  • Wie wechseln die Hauptakteure in den unterschiedlichen Augenblicken?
  • Welche unterschiedlichen Handlungsstränge gibt es?
  • Was spielt sich am Rande der Bühne ab, gibt es dort nicht auch wichtige Handlungen?

3. Andere in das Spotlight bringen

Wenn man selbst zu sehr im Spotlight ist, alles von einem selbst abhängt, dann finden andere vielleicht zu wenig Beachtung. In einem solchen Fall hilft es, andere, die auch Verantwortung tragen, bewusst ins Spotlight zu bringen. Diese Fragen können dazu anleiten:

  • Wer trägt Verantwortung für welche Aufgabenpakete oder Verantwortungsbereiche?
  • Wie kann ich aktiv dafür sorgen, dass andere Personen stärker eine aktive Rolle als Hauptakteure einer Szene übernehmen?
  • Wo oder wie werde ich dadurch entlastet?

4. Feedback aktiv einholen

Sieht man sich selbst zu sehr im Mittelpunkt, so tut es gut, sich Feedback von anderen Personen im Team oder der Organisation einzuholen. Mit diesen Fragen können Sie feststellen, wie stark die Lampe eigentlich leuchtet:

  • Wie bewerten andere die Szene, was ist wichtig und unwichtig?
  • Was erwarten andere in der nächsten Zeit von mir?
  • Was denken sie, wer mich noch entlasten könnte?
  • Welche anderen Hauptakteure sehen sie?

5. Die Szene bewusst betreten

Stellen Sie sich einfach vor, sie sind jetzt wirklich Schauspieler in der Organisation, in der Sie gerade tätig sind. Mit den folgenden Fragen können Sie weitere Entlastung finden:

  • Was ist eigentlich meine Rolle?
  • In welchen Szenen muss ich auftreten, in welchen Szenen aber auch nicht?
  • In welchen Szenen spiele ich die Hauptrolle, in welchen muss ich das nicht?
  • Wo sind meine Pausen und könnte ich mehr davon haben?

Wie Sie in jedem Theater oder Kinofilm beobachten können: Selbst die Schauspiel-Stars sind nicht in jeder Szene dabei oder im Mittelpunkt, an einzelnen Drehtagen fehlen sie und verschwinden manchmal vorzeitig vom Set. Warum sollte das für Sie anders sein?

Sind Sie schon mal dem Spotlight Bias aufgesessen? Und was sind Ihre Erfahrungen? Wie wollen Sie in Zukunft damit umgehen?

Literaturhinweis: Thomas Gilovich, Victoria Husted Medvec, Kenneth Savitsky: The spotlight effect in social judgment: An egocentric bias in estimates of the salience of one’s own actions and appearance. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 78, Nr. 2, 2000.

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