Entscheidungen: Die Kompetenz des Unbewussten
4. August 2008
Ich hab’s getan. Ich habe mich von einem Werbespot im TV zum Kaufen verleiten lassen. Was da vor kurzem farbenfroh und im Brustton des Wissenschaftsjournalismus versprochen wurde, war aber auch zu schön: „Das Geheimnis guter Entscheidungen“ sollte gelüftet werden. Und, mal ehrlich, wer wüsste nicht gern mehr über die Macht der Intuition, das Zusammenspiel von Herz und Verstand und eine nützliche Optimierung von Entscheidungsprozessen? Bei mir fielen sofort persönliches und professionelles Interesse zusammen. Also habe ich höchst entscheidungsfreudig den nächsten Kiosk angesteuert und mir die August-Ausgabe des GEO-Magazins über den Tresen reichen lassen. Wissenschaftlich fundierte und umfassende Abhandlungen darf man sich da freilich nicht erhoffen, aber ein paar neue Einsichten und Impulse sollte die sechs-Euro-Investition schon abwerfen. Mit dieser Erwartungshaltung machte ich mich an die Lektüre des 15-seitigen, großzügig bebilderten Artikels.
Und was ich fand, war „Wasser auf meine Mühlen“. Seit längerem befasse ich mich mit der Rolle von Emotionen im Projektmanagement und habe mich dabei natürlich auch dem Thema Emotionen und Entscheidungen zugewendet. Obwohl das „Bauchgefühl“ bei Entscheidungen mehr und mehr salonfähig wird – darauf deutet z. B. eine wachsende Zahl an managementbezogenen Publikationen zum Thema hin – , stoße ich in der Praxis immer wieder auf das Ideal einer überlegenen Rationalität. Ein vernünftiges, möglichst emotionsloses Abwägen von Alternativen erscheint vielen (besonders im IT-Bereich) als Garant für eine gute Entscheidung. Gefühle, so wird oft angenommen, lenkten bloß von der Sachebene ab und führten zu Komplikationen. Tatsache ist aber, dass unser Bewusstsein gar nicht in der Lage ist, alle Informationen, Eindrücke und Optionen einer Situation zu erfassen – geschweige denn gegeneinander abzuwägen. Die hochgeschätzte Rationalität ist immer eine höchst begrenzte. Das weiß man in der Entscheidungsforschung im Prinzip schon seit mehr als 50 Jahren (was der GEO-Artikel allerdings verschweigt).
Was das Bewusstsein nicht zu leisten vermag, übernimmt das Unbewusste – dessen Kompetenz landläufig gern unterschätzt wird. Das Unbewusste (vor allem lokalisiert im limbischen System) registriert, speichert und sortiert die Informationsflut, ohne dass wir es bemerken. Durch einen Abgleich mit Erfahrungen aus vorangegangenen ähnlichen Situationen und der daran geknüpften Gefühle werden die Informationen bewertet und für wichtig/unwichtig, angenehm/unangenehm befunden. Die Informationen werden in Emotionen übersetzt. Daraus entstehen in Sekundenbruchteilen intuitive Entscheidungsempfehlungen und Heuristiken, mit denen wir uns unbewusst durch den alltäglichen Entscheidungsdschungel hangeln – mit Erfolg.
Studien belegen, dass schnelle, intuitive Entscheidungen in ihrer Qualität oft viel besser abschneiden als sorgfältig abgewogene, „vernünftige“ Entschlüsse. Eine Empfehlung, die GEO-Autor Willenbrock aufgreift, lautet deshalb: (1) Je mehr es zu bedenken gibt, desto weniger sollte man darüber nachgrübeln. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen aus komplexen Projekten. Je höher die Komplexität, desto mehr Optionen und desto höher der Entscheidungsdruck. Hier ist es immer besser, überhaupt und dann schnell zu entscheiden – und zu handeln – als alle Möglichkeiten langwierig zu analysieren. Den Zweifel, dass es vielleicht eine noch bessere Wahl gegeben hätte, muss man abschütteln. Diese Fähigkeit ist eine Voraussetzung für das Managen komplexer Projekte. Die dabei eingesetzte Intuition ist nichts anderes als verdichtete Erfahrung. Jeder Feuerwehrmann, jede Pilotin oder Profi-Sportlerin macht sich eingeschliffene Erfahrungsmuster, die in konkreten Situationen intuitiv spezifische Handlungen aktualisieren, zu Nutze.
Ohne entsprechenden Erfahrungshintergrund ist allerdings Vorsicht geboten. Empfehlung (2) besagt deshalb: Wo vergleichbare Erfahrungen fehlen, ist es besser, dem Bewusstsein das Steuer zu überlassen. Als Golf-Anfänger sollte man sich seinen Schlag also überlegen, während Profi-Golfer erwiesenermaßen besser schlagen, wenn sie vorher nicht länger nachdenken. In vielen Situationen ist es ratsam, die Vorzüge bewusster und unbewusster Prozesse zu kombinieren. Empfehlung (3) lautet: Setzen Sie Ihren Überlegungen zur Entscheidungsfindung ein zeitliches Limit – und schlafen Sie eine Nacht darüber. Während Sie schlummern, sortiert Ihr Unbewusstes alle Informationen und fasst einen Entschluss.
Genau genommen gibt es also gar keine rationalen Entscheidungen – sie sind eine Erfindung, reine Kopfgeburten. Es gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der neueren Bewusstseinsforschung, die wechselseitige Abhängigkeit von Emotionalität und Rationalität aufgedeckt zu haben (siehe z. B. die Arbeiten von Damasio). Das kommt in dem GEO-Beitrag recht gut raus. Daneben werden noch viele andere Aspekte beleuchtet, was den Artikel durchaus lesenswert macht. Harald Willenbrock schreibt kurzweilig, anschaulich und gut informiert. Als Einstieg in das Thema ist der GEO-Artikel daher durchaus empfehlenswert. Wer einen vertiefenden Zugang zur Rolle von Emotionen in Entscheidungsprozessen sucht, sollte aber besser beispielsweise Stephen Finemans Buch „Understanding Emotion at Work“ (2003) zur Hand nehmen und der dort referenzierten Fachliteratur folgen.
Quelle Foto: © mangostock – Fotolia.com
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