Führen und Folgen
24. Oktober 2011
Wer bei dieser Überschrift spontan an einen sinnlichen Tango oder meinetwegen auch bloß an den muffigen Tanzschulsaal seiner Jugendzeit denkt, liegt nicht komplett daneben. Beim Paartanz sind Führen und Folgen zentrale Kompetenzen, die jenseits von Schrittfolgen, Haltungen und choreographierten Figuren erlernt und beherrscht werden müssen. Die Tanzpartner bilden eine Einheit, in der sie Bewegungsabläufe erschaffen, die kein einzelner Mensch hervorbringen könnte. Ein gelingender Tanz hängt dabei nie allein von der führenden Person ab. Wenn Sie als Führender mit jemandem tanzen, der nicht gelernt hat zu folgen, wird es mindestens anstrengend, meist aber auch ziemlich hakelig. Treffen Sie jedoch auf einen Tanzpartner, der das Folgen beherrscht, können Sie erleben, wie Sie zwar die grundsätzliche Richtung der Bewegung vorgeben, der Folgende aber seine Schritte kreativ ausgestaltet – worauf Sie als Führender wiederum reagieren können. Bei erfahrenen Tanzpaaren sind Führen und Folgen ein gegenseitiger Feedbackprozess, und niemand käme auf die Idee, das Eine vom Anderen zu trennen.
Vielleicht ahnen Sie schon, worauf ich hinaus will: In der überbordenden Führungsliteratur wird das Verhältnis von Führen und Folgen ganz anders gesehen. Da geht es um Führungsstile, Führungstypen, Führungstipps usw. Vom Folgen, von Gefolgschaft, ist weit und breit nichts zu lesen. Dabei liegt es doch auf der Hand: „Führung“ ist kein Ding und auch keine Ansammlung irgendwelcher Techniken, nein: Führung ist eine Beziehung! Während die eine Seite dieser Beziehung, die „Leader“, bestens beforscht erscheinen, fragt man sich: Wo – bitteschön – ist denn die andere Seite, wo sind die „Follower“?
Wer sich für weiße Flecken in der Führungsforschung interessiert, stößt früher oder später unweigerlich auf die Arbeiten von Barbara Kellermann. Die vielfach ausgezeichnete Politologin lehrt an der Harvard Kennedy School in Cambridge und hat sich u.a. mit ihrer Forschung zu „Bad Leadership“ einen Namen gemacht. Sie befand, dass die gesamte Führungsliteratur von Fragen nach „guter“ oder „richtiger“ Führung dominiert und es daher höchste Zeit sei, sich auch einmal mit der dunklen Seite von Führung zu befassen. Aus ähnlichem Grund schrieb sie ein Buch über „Followers“. In dem 2008 erschienenen Werk Followership. How Followers Are Creating Change and Changing Leaders nimmt Kellermann die bislang vernachlässigte Seite von Führungsbeziehungen unter die Lupe und entwirft, analog zu den zahlreichen Klassifikationen von Führungstypen, eine Typologie von Folgenden. Als Kriterium zur Unterscheidung der Typen zieht sie den Grad des Engagements heran, den Folgende hinsichtlich ihres Unternehmens und ihrer Vorgesetzten zeigen. Kellermann ermuntert dazu, es nicht bei diesem einzigen Kriterium zu belassen und die Differenzierung weiter zu entwickeln. Sie selbst stellt 5 Follower-Typen vor:
- Isolates/Einzelgänger: Sie interessieren sich wenig für ihre Vorgesetzten und das, was um sie herum geschieht. Häufig findet man diesen Typus in großen Unternehmen, wo die Betreffenden ihre Aufgaben abarbeiten, sich ansonsten aber um nichts kümmern und immer in Deckung bleiben.
- Bystanders/Mitläufer: Sie zeigen wenig Engagement, wollen aber alles im Blick haben. Sie beobachten das Geschehen von der Seitenlinie aus, legen sich mit niemandem an und sind darauf bedacht, mit möglichst wenig Aufwand und Konflikten gut durchzukommen
- Participants/Beteiligte: Sie interessieren sich für das Unternehmen, in dem sie arbeiten und möchten gern ihren Beitrag zum Erfolg leisten. Sie unterstützen ihre Vorgesetzten, wenn sie mit deren Vorgehen einverstanden sind und engagieren sich gegen diese, wenn ihnen Entscheidungen oder Anordnungen widerstreben.
- Activists/Engagierte: Sie fühlen sich ihrem Unternehmen stark verbunden und investieren viel Zeit und Kraft in ihre Arbeit. Sie unterstützen ihre Vorgesetzten mit viel Energie. Werden sie von der Führung enttäuscht, können sie aufgrund der emotionalen Verletzung jedoch zu ebenso engagierten und erbitterten Gegnern werden.
- Diehards/unverwüstliche Anhänger: Sie hängen einer Idee, Organisation oder Führungsperson leidenschaftlich an und würden für diese alles tun – selbst wenn es ihnen persönlich schadet oder sie ihre Position im Unternehmen verlieren.
Kompetente Follower sind nun nach Kellermann solche Personen, die „gute“, d.h. moralisch integre und in ihrem Tun effektive Führungspersonen durch ihr Handeln stärken und unterstützen, während sie (gleichzeitig) „schlechten“, d.h. z.B. diktatorischen oder unwirksamen Leadern ihre Unterstützung verweigern oder gegen sie opponieren. Als wenig kompetente Gefolgschaft bewertet Kellermann dagegen diejenigen Personen, die sich – wie Einzelgänger und Mitläufer – überhaupt nicht aktiv in die Führungsbeziehung einbringen oder aber die „falschen“ Führungstypen unterstützen.
Auch wenn die Forschung zur Beziehung zwischen Führenden und Folgenden, mit Fokus auf Letztere, noch in den Anfängen steckt, zeichnet sich schon jetzt ab, dass Kellermann ein Fenster aufgestoßen hat, dem weitere folgen werden. Denn womöglich ist die Krise der Führung, die in den öffentlichen Debatten immer wieder gern konstatiert wird, viel eher eine Krise der Gefolgschaft. Diese These wirft jedenfalls Theresia Volk auf. Die Organisationsberaterin und Autorin von Unternehmen Wahnsinn. Überleben in einer verrückten Arbeitswelt (2011) beobachtet, dass Bindungen und Zugehörigkeiten in unseren Lebenswelten zunehmend flüchtiger werden. An die Stelle langfristiger Bindungen treten situative Konstellationen, kurzfristige Interessensüberschneidungen, lockere Kontaktnetzwerke, Job-Hopping usw. „Echte“ Zugehörigkeiten können sich auf dieser Grundlage kaum mehr entwickeln – weshalb Führung immer mehr zur Jonglage mit Optionen wird. Der Ruf nach guten oder besseren Führungskräften verhallt, kann gar nicht ankommen, weil sich die Voraussetzungen für Führung auflösen. In dem Maße, in dem immer weniger echte, langfristige – also verbindliche – Zusammengehörigkeiten in der Arbeitswelt eingegangen werden, schwindet die Bedeutung drs einzelnen Führungsperson. Sie kann die Bindungskraft von Zugehörigkeit nicht herstellen, sondern ist umgekehrt gerade auf eben diese angewiesen. Die dahinter stehende Erkenntnis ist ebenso trivial wie einleuchtend: Menschen müssen einen Grund haben, anderen zu folgen.
Wie immer freue ich mich über Ideen, Anregungen, Diskussionsstoff!
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