Artikel versenden

Projektmanagement ist keine Wissenschaft




 

//

Neulich geriet ich mit einem befreundeten Naturwissenschaftler in eine Diskussion, die mir interessant genug scheint, sie hier einmal wiederzugeben:

Ich hatte mich im Scherz darüber beklagt, dass Naturwissenschaftler zur Evaluierung ihrer Theorien Experimente durchführen können, die beliebig wiederholbar sind, während in meinem Beruf kein Tag dem anderen gleicht und erst recht kein Projekt unter Laborbedingungen reproduzierbar ist. Daher könne ich niemals wirklich wissen, welche Projektmanagement-Theorie denn nun „stimmt“, und daher sei es auch kein Wunder, wenn Projekte oft nicht so laufen, wie geplant.

Mein Gegenüber antwortete, ich solle doch froh sein: dafür könne ich die Realität an meine Vorstellungen anpassen! Immerhin halten sich die Projektbeteiligten in der Realität normalerweise an Regeln und Prozesse, die in einer Theorie beschrieben sind. Von diesem Luxus könne er nur träumen, und außerdem könne ich anders herum auch die Theorie beliebig variieren, wenn dadurch ein besseres Ergebnis erzielt wird. Eine Theorie des Projektmanagements sei ganz klar ein Mittel zum Zweck und ihre  formale Korrektheit – anders als in der wissenschaftlichen Forschung – zweitrangig. Wenn sich in den Naturwissenschaften eine Theorie als „falsch“ herausstellt, dauere es oft eine Ewigkeit, bis eine neue Idee oder ein neues Rechenmodell gefunden werde. Vor diesem Hintergrund sei es eigentlich ein Wunder, dass Projekte immer noch scheitern und es nicht schon längst die perfekte Projektmanagementtheorie gibt.

„Hmm“, erwiderte ich lachend, „das liegt wahrscheinlich daran, dass ich es mit handelnden Menschen zu tun habe und nicht mit Atomen oder ausgestorbenen Dinosauriern, mein Theorie-Gegenstand ist schlicht weniger berechenbar.“ Die Antwort des Naturwissenschaftlers hierauf fand ich hoch interessant: Nach seiner Aussage gibt es auch ohne den menschlichen Chaosfaktor ein Problem – oft sei einfach auch Gödel schuld. Er meinte damit den Unvollständigkeitssatz des Mathematikers Kurt Gödel, nach dem kein logisches System ab einer gewissen Komplexität vollständig und gleichzeitig widerspruchsfrei sein kann. So muss man als Mathematiker damit leben, dass es in Systemen u. U. wahre Aussagen gibt, die nicht bewiesen, und falsche Aussagen, die nicht widerlegt werden können, das System also unvollständig ist.

Dieser Gedanke löste bei mir eine kleine Kettenreaktion aus und ich folgerte: Wenn (1) eine ganz allgemeine Skepsis gegenüber formalen Systemen angebracht ist, dann ist zumindest nicht immer der Mensch Schuld am Scheitern von Projekten. Nachdem dieser Gedanke kurzfristig eine gewisse Erleichterung auslöste, stellte sich gleich anschließend eine Art Resignation ein: Wenn (2) es folglich sogar in der Theorie unmöglich ist, Projektmanagement „sauber“ zu formalisieren, wie soll es dann überhaupt je gelingen, Projekte zum Erfolg führen, wo es bekanntlich zusätzlich noch eine Vielzahl weiterer Gründe für das Scheitern von Projekten gibt? Natürlich ist eine solche Schwarzmalerei unangebracht und übertrieben, trotzdem gibt es anscheinend ein Dilemma, das nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist.

Es gibt auf (2) allerdings auch eine sehr einfache Antwort: Der Erfolg von Projekten liegt nicht in der Theorie, sondern im persönlichen Engagement, in der Intelligenz, der Kooperationsfähigkeit und, wenn man so will, im Charakter der Projektbeteiligten. Die Gründe für den Erfolg von Projekten liegen in den gleichen intuitiven „Maßnahmen“, die Menschen seit jeher ergreifen, um miteinander zu interagieren, und die auch Menschen zu gemeinsamer Arbeit befähigen, die nicht die geringste Kenntnis irgendeiner Theorie besitzen.

Wenn es hier also einen „Fehler im System“ gibt, heißt das:  Projekte scheitern nicht wegen der menschlichen Natur – unsere Menschlichkeit sorgt vielmehr dafür, dass Projekte überhaupt gelingen können! Und auch wenn ich die hier skizzierten Schlussfolgerungen nicht vor einem Wissenschaftstheoretiker verteidigen möchte, fand ich diesen Gedankengang in jedem Fall inspirierend.

Quelle Foto: © Maria.P. – Fotolia.com

| Keine Kommentare

 
Top | Impressum | Datenschutz