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Kennen Sie die richtige Frage?




 

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Während meiner Ausbildung zum systemischen Organisationsberater bin ich einmal von einem Kollegen gefragt worden, wie denn meine Ausbildung so aussieht. Unter anderem erzählte ich ihm, dass wir uns in der  Peergruppenarbeit sehr ausführlich mit dem Thema Fragen beschäftigen, da Fragen im Zentrum der systemischen Beratung stehen. Der Kollege war sofort sehr interessiert und wollte unbedingt diese Fragen sehen. Als ich ihm schließlich einige Fragen zeigte, war die Enttäuschung  groß. „Das sind ja bloß ganz normale Fragen!“erwiderte er und schüttelte etwas ungläubig den Kopf.  Offenbar hatte er etwas Geheimnisvolleres erwartet. Doch es stimmt: Die Fragen an sich sind nichts weiter als Fragen. Ihre Wirkung entsteht erst im konkreten Kontext, vor dem Hintergrund einer inneren Einstellung und der Kenntnis von Systemverhalten. Insofern besteht die Kunst der Organisationsberatung in der Auswahl der jeweils passenden, hilfreichen Fragen in einer spezifischen Ausgangssituation. Diese Auswahl wiederum basiert auf der Bildung von Hypothesen.

Wie fühlt sich das nun konkret an? Hier ein kurzes Beispiel.

Kontext: Ein Kunde berichtet, dass es in seinem Projekt zu keinem Fortschritt kommt.

Hypothese 1: Der Kunde hat noch keine ausreichenden Vereinbarungen getroffen.

Fragen zu 1: Was wurde vereinbart? Wie wurde es vereinbart? Wie sehen die Projektmitarbeiter die Vereinbarung? etc.

Hypothese 2: Der Kunde hat keine Aufmerksamkeit für sein Projekt.

Fragen zu 2: Wer will das Projekt? Wer ist Mentor für das Projekt? Welche Bedeutung hat das Projekt auf verschiedenen Organisationsebenen? etc.

Je nach getroffener Hypothese ergeben sich andere Fragen im konkreten Kontext.

So wie die Fragen in dem konkreten Beispiel der Überprüfung von Hypothesen dienen, gibt es noch weitere Einsatzzwecke:

  • Beschreibung von Kontexten
  • Erarbeitung von Zielen
  • Führung des Prozesses
  • Auslotung von Lösungen

Ein weiterer Aspekt bei der Auswahl der „richtigen“ Fragen ist die innere Haltung des Fragenden. Ich habe schon selbst schmerzlich erfahren dürfen, dass eine Frage nicht bloß eine Technik ist, die man anwendet. Während der Beratung befindet  man sich in einem gemeinsam von Respekt getragenen reflexiven Prozess. Ob eine Frage gestellt werden kann, hängt zum Beispiel von der Dauer der Beziehung oder der Radikalität des Beratungsansatzes ab. In einer Übung während der Ausbildung habe ich einen Kollegen als Einstieg in das Gespräch mit einer Wunderfrage überrascht: „Angenommen die Herausforderung ist gemeistert, was hat sich dann geändert?“ Kaum war die Frage gestellt, war die Beratung auch schon zu Ende, da mich mein Gegenüber nur mit Entsetzen anschaute. Offensichtlich war die Frage zu dem Zeitpunkt nicht brauchbar.

Fazit: Um Fragen in der systemischen Beratung hilfreich zur Wirkung kommen zu lassen, bedarf es viel Übung an sich selbst in konkreten Kontexten.

Ich hoffe, die Gedanken zu den Fragen haben Sie angeregt mich zu fragen.

Zum Weiterlesen:
The 5 Why
Gut gefragt ist halb gewonnen
Denken Sie systemisch?
Quelle Bild: © M. Schuppich – Fotolia.com

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