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Rollen – verstörende Einsichten aus der Praxis




 

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Rollen und deren Beschreibung begegnen uns in komplexeren Organisationen auf Schritt und Tritt. Wenn man als externer Berater das erste Mal beim Kunden in Erscheinung tritt, kommt sofort die Frage „Und was ist Deine Rolle? Die Aussage „Ich bin der Gesamtprojektleiter.“ lässt zumeist den fragenden Blick verschwinden, manchmal sogar wird er durch ein wissendes Lächeln ersetzt. Ich kenne Organisationen, die sich wochenlang mit der formalen, papiergebundenen Festlegung von Rollenbeschreibungen beschäftigen – und dann doch nicht die gewünschte bessere Zusammenarbeit erreichen.

Was macht Rollenbeschreibungen so wichtig, was veranlasst Organisationen dazu, sich neben der ganzen anderen Arbeit damit zu beschäftigen? Die Antwort ist einfach: Rollenbeschreibungen sparen Arbeit. Für denjenigen, der meine Rolle kennt, reduziert sich die Komplexität der erwartbaren Handlungen, die ich innerhalb der Organisation ausführen werde. Die Aussagen „Ich bin der Projektleiter.“, „Ich bin der Server-Entwickler.“ oder „Ich bin ein Besucher.“ schränken meinen Handlungsspielraum innerhalb der Organisation ein und machen bestimmte meiner Handlungen viel wahrscheinlicher.

Um diesen angenehmen Effekt zu erzielen, machen sich viele Organisationen daran, alle Rollen in einer Rollenbeschreibung festzulegen – und stellen am Ende fest, dass Ihnen das nicht wirklich bei der Zusammenarbeit geholfen hat. Die Frage, warum das so ist, und was man tun kann, um Rollendiskussionen sinnvoll zu führen, möchte ich mit ein paar verstörenden Einsichten beschreiben, die mir zum Thema Rollen eine neue Sicht verschafft haben.

  • Rollen sind dynamisch: Die Kernbedeutung von Rollen ist, dass sie Erwartungen an das Verhalten des Rollenträgers festlegen. Nun verändern sich Organisationen aber immer schneller, immer mehr oder andere Aufgaben sind zu übernehmen. Damit müssen sich auch die Rollenbeschreibungen ändern, Karteileichen helfen nicht, sondern Beschreibungen müssen aktualisiert werden.
  • Genauigkeit wird bestraft: Manche Unternehmen versuchen, Verantwortlichkeiten und Tätigkeiten möglichst genau zu beschreiben. Die Intention ist dabei, mehr Sicherheit bei den Erwartungen an die Rollenträger zu erreichen: Je genauer, desto weniger Unsicherheit. Paradoxerweise erweist sich dieses Vorgehen jedoch als falsch: Je genauer, desto unsicherer werden Rollenbeschreibungen. Denn Rollenträger verlassen sich darauf, dass diese und nur diese Tätigkeiten Teil ihrer Rollenverantwortung sind. Immer mehr Themen bleiben in der Organisation liegen oder enden im Streit. Rollenerwartungen werden unsicherer. Dieses Paradox wird in meinem Artikel „Das Verantwortungsparadox“ genauer beschrieben (s.u.).
  • Jeder Rollenträger ist für alles verantwortlich: Gerade wenn man durch eine Rollenbeschreibung Verantwortungen festgelegt hat, ist es durch die Dynamik und übertriebene Genauigkeit möglich, dass Punkte zwischen den ganzen Rollenbeschreibungen einfach runterfallen und sich in konkreten Fällen niemand zuständig fühlt. Deshalb versuche ich in der Praxis bei Rollenaushandlungsprozessen immer darauf aufmerksam zu machen, dass in jeder Rollenbeschreibung implizit der Punkt „Ich bin für alles verantwortlich, was potentiell schief laufen kann oder schon schief läuft“ enthalten ist. Das bedeutet nicht, dass man selbst Aktionen machen muss oder sogar die Arbeit anderer Zuständigkeiten erledigen sollte. Man ist jedoch verantwortlich dafür, dass Missstände behoben werden, wie immer man das auch bewerkstelligt.
  • Eine Rolle ist eine Beziehung, keine Eigenschaft des Rollenträgers: Rollenträger könnten ja denken „Ach, da setze ich mich hin, schreibe meine Verantwortlichkeiten, die Ziele meiner Rolle und die Tätigkeiten einfach mal auf, und schon ist meine Rolle sauber definiert.“ In der Praxis ist diese Vorgehensweise häufig  zu beobachten, höchstens werden anderen Abteilungen oder Rollenträgern noch die Überlegungen in Form der verschriftlichten Rollenbeschreibung mitgeteilt. Und wieder verpufft die Arbeit zum Rollenthema oder provoziert Aufregung. Der Fehler steckt auch hier schon in der grundsätzlichen Sichtweise. Eine Rolle ist keine Eigenschaft des Rollenträgers, sondern eine Beziehung zwischen verschiedenen Rollenträgern, ergo den Erwartungen, die der Rollenträger an die Rolle hat und den Erwartungen, die diejenigen an die Rolle haben, die im Arbeitsalltag und Prozess mit ihm zusammenarbeiten wollen. Die Rolle kann also nur durch Austausch der gegenseitigen Erwartungen festgelegt werden, wegen der Dynamik der Rollen müssen für funktionierende Rollenfestlegungen diese Kommunikationen immer wieder stattfinden.
  • Eine Rolle kann nicht erfüllbar sein: Damit eine Rollendefinition funktioniert, müssen unterschiedlichen Erwartungen an die Rolle so überein gebracht werden, dass sie sich nicht zu stark unterscheiden. Zudem müssen die Fähigkeiten des Rollenträgers diesen Erwartungen entsprechen können. Man sollte sich bewusst sein, dass es Rollen gibt, die entweder für den Rollenträger oder für kein menschliches Wesen erfüllbar sind. Was bleibt, ist diese Rollendefinitionen anzupassen, z.B. durch Aufteilen der Rollen. Kann der Rollenträger die Rolle nicht erfüllen, so bleibt manchmal nur der Austausch der Person.

Vielleicht helfen auch Ihnen die verstörenden Einsichten, Rollen aus einer anderen Perspektive zu betrachten – und Rollenbeschreibungen sinnvoller einzusetzen. In jedem Fall halte ich die Kommunikation über gegenseitige Erwartungen an Rollen für eine Arbeit, die sehr sinnvoll Arbeit spart. Sie sollte in Unternehmen viel mehr eingesetzt werden. Entscheidend ist die Kommunikation der verschiedenen Akteure im Gesamtsystem. Was dagegen gar nicht hilft oder sogar schädlich ist, sind lange Dokumente, die im stillen Kämmerlein entstanden sind und die Beziehung auf Jahre festlegen sollen.

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Quelle Foto: @ Antonio Gravante – Fotolia.com

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