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Emotionales Kapital – Ressource im Kampf um Karrierechancen?




 

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Haben Sie schon einmal über die Akkumulationschancen Ihres emotionalen Kapitals nachgedacht? Oder über dessen Schwundrisiken? Vermutlich nicht. Vielleicht finden Sie die Zusammenschau von Kapitaltheorie und Gefühlen sogar etwas abwegig. Als ich mich vor vielen Jahren eingehend mit der sozialen Bedeutung von Emotionen befasste, ging es mir anfangs ähnlich. Mein Ziel war es, einen soziologischen Beitrag zur Emotionsforschung zu leisten. Gefühle und Gesellschaft – schon die Klassiker des Fachs hatten die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen beiden thematisiert. Auch wenn Sie nicht vom Fach sind, kennen Sie bestimmt Max Webers Analyse der Entstehung des Kapitalismus aus dem Geist der protestantischen Ethik.

Es gibt zahlreiche Beispiele für gesellschaftliche und soziale Aspekte von Emotionen: den historischen Wandel von Gefühlskulturen, die Kommerzialisierung von Emotionen,  milieuspezifische emotionale Kulturen usw. Mich interessierte jedoch vor allem die Statusrelevanz von Gefühlen. Ich wollte der Frage nachgehen, welche Rolle Emotionen bei der Verortung von Menschen im sozialen Raum spielen. Meine These hierbei war, dass der Kampf um Positionen in der sozialen Hierarchie immer auch über Gefühle ausgetragen wird.

Eingängig lässt sich dies am Beispiel der Scham nachvollziehen. Sich zu schämen bedeutet nicht nur, eine (tatsächliche, vermeintliche oder vorgestellte) Verfehlung anzuerkennen, sondern auch die eigene Unterlegenheit. Dieses Gefühl verändert die Machtbalance zwischen Interaktionspartnern. Wer sich schämt, macht sich klein, oder soziologisch ausgedrückt: Beschämungen erlauben Machtgewinn. Sie sind daher ein wichtiger Bestandteil von Herrschaftstechniken. Beschämungen dienen der Sicherung des eigenen Terrains nach außen. Das Wecken von Schamgefühlen wirkt als soziale Schließung, indem es „Eindringlingen“ die sozialen Chancen nimmt, an bestimmten Gemeinschaftsbildungen einer Statusgruppe teilzunehmen. Hierarchien sind daher im Grunde genommen immer auch gefühlte Größen.

Das gilt natürlich auch für hierarchische Strukturen in Unternehmen, ganz gleich, ob es formelle oder informelle Hierarchien sind. Bestimmten Kreisen gehört man an – oder auch nicht. Jeder, der sich schon mal in die „falschen“ Kreise (oder das „falsche“ Lokal) begeben hat, kennt das unangenehme Gefühl, das einen dann beschleicht. Beschämungen gibt es nach „unten“, ebenso wie nach „oben“, wobei die Hebel letztlich schon unterschiedlich lang sind. Führungskräfte können Mitarbeiter z.B. für Fehler sanktionieren, sie vorführen oder ihnen ihren begrenzten Spielraum aufzeigen. Umgekehrt können Mitarbeiter ihre Vorgesetzten mit überlegenem Fachwissen in Fettnäpfchen locken und zeigen: „Du hast ja keine Ahnung!“ Direkte Beschämungen sind oft aber gar nicht nötig, um Grenzen zwischen Statusgruppen abzustecken. Die Furcht davor, sich zu blamieren oder bloßgestellt zu werden, reicht schon aus. Die Unnahbarkeit vieler Vorstände basiert zu einem guten Teil auch auf diesem Prinzip.

Soziale Scham spielt auch in modernen Gesellschaften eine große Rolle bei der Abgrenzung der verschiedenen Milieus und Lebensstile. Es existieren milieuspezifische emotionale Kulturen, d.h. es gibt unterschiedliche Regeln und Codes im Umgang mit Gefühlen. Der Umgang mit den eigenen Emotionen, die Art und Weise ihres Ausdrucks, ihrer Kontrolle usw. sind eine wichtige Dimension der Unterscheidung sozialer Milieus. Entscheidend hierbei ist, dass diese unterschiedlichen Kulturen nicht gleichberechtigt nebeneinander stehen. Indem privilegierte Milieus die Merkmale ihrer spezifischen Lebensform, z.B. das Ideal eines unabhängigen, gebildeten Selbst, zu einem gesellschaftlich verbindlichen Standard erklären, werden entlang der Achse solcher Attribute Unterlegenheits- und Überlegenheitsgefühle konstruiert.

Dies funktioniert, weil die milieutypischen Merkmalsausprägungen eine unterschiedliche öffentliche Legitimität besitzen. So mögen z.B. die Neigung zu Ordnung und Sauberkeit oder die körperliche Stärke in kleinbürgerlichen und Arbeitermilieus eine hohe Wertschätzung besitzen – für hohe Positionen in der gesamtgesellschaftlichen Hierarchie prädestinieren diese Eigenschaften aber nicht. Die Beherrschung bestimmter, gesellschaftlich angesehener Emotionsregeln und Gefühlstechniken kommt – wie auch die in der sozialen Konkurrenz produzierten Überlegenheitsgefühle – bei Selektionsmechanismen in der schulischen Laufbahn ebenso zum Tragen wie bei Rekrutierungsmustern auf dem Arbeitsmarkt.

Mag sein, dass diese Befunde in Zeiten von start-ups und new work ein bisschen old fashioned klingen. Doch die Welt, in der wir uns, in der sich die meisten Wissensarbeiter bewegen, ist eine überaus privilegierte. Die viel beklagte Bildungsungleichheit ist leider kein Phänomen längst vergangener Zeiten (während drei Viertel der Abiturienten aus Akademikerfamilien ein Studium aufnehmen, sind es bei den Abiturienten aus nicht-akademischen Familien auch heute noch lediglich ein Viertel). Und die Reproduktion sozialer Ungleichheit setzt sich im Berufsleben munter fort. Aufstieg durch Leistung kann gelingen. Er ist aber nicht der Regelfall.

Insofern denke ich, dass Emotionen (bzw. der Umgang mit ihnen) in der Konkurrenz um Karriere- und Lebenschancen eine Ressource darstellen, die ebenso kapitalisiert werden kann wie Beziehungen („soziales Kapital“), Bildung/Handlungswissen („kulturelles Kapital“) oder Titel/Ansehen („symbolisches Kapital“). Die genannten Kapitalsorten sind alle konvertierbar in ökonomisches Kapital, das seinerseits die Voraussetzungen für die Erlangung der anderen Kapitalien schafft. Wer über positive emotionale Ressourcen verfügt und gelernt hat, die eigenen Gefühle gemäß den Anforderungen des Business zu modulieren, hat es leichter in höhere Statusgruppen aufzusteigen.

Emotionales Kapital ist für mich genau das: die sozial ungleich verteilte Ausstattung mit positiven emotionalen Ressourcen, die das Selbst betreffen (Selbstwertgefühl, Selbstachtung, Selbstvertrauen) sowie die sozial differenzierte Fähigkeit zur Veränderbarkeit der eigenen Gefühle im Sinne einer Investition in der Konkurrenz um Lebenschancen.

Sicher spielen auf der Karriereleiter auch Leistung und Kompetenzen eine wichtige Rolle. Sie sind ein (möglicherweise) notwendiges, jedoch kein hinreichendes Kriterium. Ohne dass es offen ausgesprochen wird, gilt in vielen Bereichen ab einer bestimmten Hierarchiestufe das Prinzip der Kooptation, d.h. Positionen werden nach persönlicher Empfehlung und Beziehung aus bestehenden Netzwerken besetzt. Dadurch entstehen wiederum emotionale Schulden, die von den Beteiligten als Quelle des direkten oder indirekten Zugangs zu den Ressourcen der jeweils anderen Akteure genutzt werden. Hat man es auf den Chefsessel geschafft, kann die emotionale Rendite in Form von Bestärkung, Anerkennung und Aufwertung der eigenen Person eingefahren werden. Auf diese Weise akkumuliert sich das emotionales Kapital.

Schwundrisiken des emotionalen Kapitals liegen hingegen vor allem in der asymmetrischen Reziprozität von Beziehungen. Um das mal weniger verklausuliert zu sagen: Der Verlust einer Position, die Degradierung, der Ausschluss aus einer Statusgruppe, die Minderung des beruflichen Ansehens, der soziale Abstieg – all dies sind Ereignisse, die das emotionale Kapital einer Person empfindlich treffen.

Wenn man Gefühle nicht als triebgebundene Affekte betrachtet, sondern als wichtiges Element sozialer Strukturen und Strukturierung, so ergibt sich auch im Hinblick auf die Arbeits- und Berufswelt ein spannendes Panorama an Fragestellungen. Es würde den Rahmen eines Blogbeitrags sprengen, diese Zusammenhänge weiter auszuführen. Wer sich für das Thema interessiert, kann gern den Fachbeitrag „Emotionales Kapital – zur Statusrelevanz von Gefühlen“ nachlesen in dem von Klaus R. Schroeter und mir herausgegeben Band „Zwischenspiel“, der 2004 im Peter Götzelmann Verlag erschienen ist.

Weitere Adaptionen auf die Arbeitswelt, Kommentare und Anregungen hierzu sind herzlich willkommen!

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Quelle Foto: @euthymia – Fotolia.com

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