Wohin mit dem Ärger? Selbstregulation in Konflikten, Teil 2
12. März 2021
Kein Konflikt ohne Emotionen. Konfliktsituationen rufen unweigerlich Gefühle hervor: Man ärgert sich, wird zornig, fühlt sich getäuscht oder gekränkt. Das ist normal und menschlich, bei der Bewältigung von Konflikten aber weniger hilfreich. Im Business-Alltag wird daher erwartet, dass diese (und andere) Emotionen aus der konfliktären Interaktion ausgeschlossen werden.
Selbstbeherrschung im Sinne einer Unterdrückung unerwünschter Emotionen hilft jedoch nur kurzzeitig und wirkt auf längere Sicht sogar toxisch – und zwar für den einzelnen Menschen genauso wie für die gesamte Organisation. Deshalb ist es wichtig, in Konfliktsituationen einen anderen Umgang mit negativen Emotionen zu finden und einzuüben.
Hier kommt das Konzept der Selbstregulation zum Tragen. Anders als Selbstbeherrschung oder -kontrolle setzt Selbstregulation auf ein bewusstes Annehmen und Reflektieren des eigenen inneren Erlebens. Dies setzt ein Heraustreten aus der konkreten Situation voraus – eine echte Herausforderung, wenn man mit jemandem im Clinch liegt und sich gerade höllisch ärgert. Genauso schwierig ist es, den Fokus konsequent auf sich selbst, die eigene Wahrnehmung, das eigene Empfinden und Verhalten zu richten – wo wir es doch gewohnt sind, in Konflikten nur noch den Kontrahenten (und vielleicht noch den Konfliktpunkt) im Visier zu haben. Gelingen kann dies mit einem (Selbst-)Coaching. Hier ein paar Anregungen dazu:
1. Nutzen Sie Ihr somatisches Frühwarnsystem!
Je früher wir in einem Konfliktfall innehalten, desto wirkungsvoller können wir das „automatische“ Abspulen typischer Konfliktmuster verhindern. Im Idealfall kann ein sich anbahnender Konflikt schon im Vorfeld ausgeräumt werden. Wir alle haben unser eigenes „Frühwarnsystem“ immer dabei, nutzen es aber viel zu selten: unseren Körper.
Noch bevor es zu einem verbalen Schlagabtausch kommt und die Eskalationsspirale in Gang gesetzt wird, weisen somatische Marker auf ein aufkommendes Konfliktgeschehen hin: aufeinander gepresste Kiefer, Magengrummeln, Kopfdruck, ein gereizter Unterton in der Stimme, Anspannung in den Schultern oder Beinen, eine veränderte Atmung, Schwitzen usw.
Wenn Sie in einer Interaktion solche Signale an sich bemerken, ist dies der richtige Zeitpunkt, um das Geschehen zu unterbrechen. Doch auch, wenn ein Konflikt schon weiter fortgeschritten ist, besteht die erste Maßnahme zur Selbstregulation immer darin, Distanz zu schaffen.
2. Gewinnen Sie Abstand!
Um Abstand zu schaffen und sich selbst aus der emotionalen Anspannung herauszuholen, haben sich verschiedene Praktiken bewährt. Gute Dienste leistet die Exit-Strategie: Verlassen Sie die Situation – physisch oder mental. Sie können z.B. das Fenster öffnen, in die Teeküche gehen und Wasser aufsetzen, die Toilette aufsuchen usw. Je nach Lage können begleitende Kommentare hilfreich sein wie z.B. „Bin gleich wieder da.“ oder „Ich hol‘ mal schnell einen Kaffee.“
Wenn Sie den Raum nicht verlassen können oder möchten, schaffen Sie mental Abstand, etwa indem Sie sich die ganze Situation als Szene auf einer Theaterbühne vorstellen. Sie sitzen gemütlich im Publikum und schauen sich selbst und ihrem Konfliktpartner beim Streiten zu. Meist ist es nicht schwer, die Spirale in den Abgrund zu erkennen, die durch wechselseitige Reaktionen losgetreten wird. In einem nächsten Schritt können Sie die Aufführung anhalten – und das Theaterstück gedanklich neu schreiben.
Je hitziger die Debatte bereits ist, desto schwieriger wird es, Distanz zu schaffen. Für mich hat sich in solchen Situationen ein einfacher Trick bewährt: Fühle ich mich in einer Auseinandersetzung persönlich angegriffen oder mit Anschuldigungen konfrontiert, schieße ich nicht sofort zurück, sondern lege die Vorwürfe gedanklich auf den Boden. Da liegen sie dann und ich kann sie in aller Ruhe betrachten.
Mit Hilfe dieser Techniken unterbrechen Sie die Konfliktdynamik und gewinnen Raum für eine bewusste Einflussnahme auf Ihr inneres Erleben und Ihr Verhalten nach außen – der erste Schritt zur Selbstregulation.
3. Überprüfen Sie Ihre eigene Wahrnehmung!
Jetzt haben Sie Gelegenheit, Ihre Wahrnehmung der Situation auf den Prüfstand zu stellen. Denn die „Wirklichkeit“, die wir wahrnehmen, ist immer subjektiv. Wie etwas gesehen, erlebt, erfahren wird, ist immer abhängig von individuellen Einstellungen, Interessen, Erinnerungen usw. Im Konfliktfall gilt dies umso mehr, denn wenn wir uns angegriffen fühlen, neigen wir besonders zu schematischem Denken. Das Gehirn hält sich dann nicht mit Differenzierungen und Reflexionen auf, sondern verdichtet und verzerrt Informationen so, dass sie schnell in ein einfaches (Erinnerungs-)Raster einsortiert werden können: schwarz-weiß, gut-böse, Täter-Opfer.
So entstehen bei den Konfliktparteien unterschiedliche Konfliktrealitäten, was meistens zu verhärteten Fronten führt, weil ja jeder von der eigenen Sichtweise überzeugt ist. Eine bewusste Konzentration auf die Unterscheidung von Fakten und Interpretationen wirkt in emotional aufgeladenen Konfliktsituationen sehr entlastend. Man befreit sich dadurch von dem inneren Drang, den anderen von seiner „falschen“ Sichtweise abzubringen. Damit können Eskalationen wirkungsvoll unterbrochen werden. Hilfreiche Fragen sind z.B.:
- Um was genau geht es?
- Was ist tatsächlich passiert?
- Wie würde ein neutraler Beobachter den Anlass/Gegenstand des Konflikts beschreiben?
- Was genau sind die Fakten?
- Was sind meine Interpretationen?
- Was wurde gesagt? Und was habe ich verstanden?
- Handelt es sich bei den Dingen, die mich auf die Palme bringen, um Fakten oder um Interpretationen?
Die Hinterfragung der eigenen Wahrnehmung kann man gut verknüpfen mit einer Reflexion des eigenen Verhaltens:
- Welchen Anteil habe ich selbst an dem Konflikt?
- Wie trage ich zu seiner Eskalation bei?
4. Trennen Sie Person und Problem!
Einer der für mich wichtigsten Grundsätze in Konfliktsituationen (aber auch z.B. bei schwierigen Verhandlungen) lautet, Person und Problem zu trennen. Um zu einer guten Lösung zu gelangen, ist es wichtig zwischen der Person des Konfliktpartners und den im Konflikt präsenten Schwierigkeiten zu unterscheiden. An auftretenden Streitpunkten kann man etwas ändern, an der Persönlichkeit des Gegenübers nicht.
So vermeidet man auch, dass sich bestimmte emotionale Reaktionsmuster verfestigen. Denn so, wie unsere aktuelle Wahrnehmung im Krisenmodus durch schematische Vereinfachungen und Interpretationen verzerrt wird, so werden auch unsere Erinnerungen durch das aktuelle Konflikterleben beeinflusst. Wenn wir uns in einer Konfliktsituation über jemanden ärgern, erinnern wir uns schnell an andere (möglicherweise unangenehme) Situationen mit dieser Person und neigen dazu, diese Erlebnisse unter dem Eindruck der präsenten Emotionen wie Wut und Ärger zu dramatisieren. Diese negativ verzerrten Erinnerungen verstärken wiederum unseren aktuell empfundenen Ärger. Auf diese Weise entstehen unheilvolle Emotions-Erinnerungs-Spiralen, die direkt in die Eskalation des Konflikts führen.
Wenn man merkt, dass man sich bereits in einer solchen Spirale befindet, kann man die Dynamik unterbrechen, indem man bewusst positive Erinnerungen aktiviert. Wenn Sie sich in einer solchen Situation befinden, versuchen Sie sich z.B. daran zu erinnern, wie ihr Konfliktpartner Ihnen einmal geholfen hat oder welchen erfreulichen Beitrag er bei einer bestimmten Aufgabe geleistet hat.
5. Erkennen Sie Ihre eigenen Motive und Bedürfnisse!
Für die Selbstregulation in Konflikten ist es hilfreich, wenn man sich selbst gut kennt. Ihr Übungsprogramm sollte daher immer auch ein paar Einheiten zu Ihren persönlichen Motiven und Bedürfnissen enthalten. Motive sind die Antriebskräfte unseres Handelns, und wenn sie verletzt oder angegriffen werden, entstehen Wut, Ärger und Angst.
Menschliche Grundmotive sind z.B. Sicherheit, Autonomie und Zugehörigkeit. Die Ausprägungen sind dabei stets individuell. Das Wissen um die eigenen Bedürfnisse und Motive hilft in Konflikten dabei, die auftretenden Gefühle einordnen und bewerten zu können – was wiederum Distanz zum eigenen inneren Erleben schafft und einen bewussten Umgang mit den Emotionen begünstigt.
Fazit
Das bewusste Annehmen und Reflektieren des eigenen inneren Erlebens ist der Schlüssel zu einer gelingenden Selbstregulation in Konflikten. Die genannten Vorgehensweisen unterstützen dabei, in Konfliktsituationen mentale und emotionale Distanz herzustellen, sie schaffen Raum dafür, den Blick auf sich selbst zu richten und ermöglichen so mehr Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit Konflikten – für weniger Wut, Ärger und Stress.
Mancher Konflikt kann in der Anbahnungs- und Frühphase auf diese Weise eingedämmt werden. Selbstregulation ist aber kein Mittel zur Konfliktlösung. Hier braucht es eine geschickte Konfliktkommunikation, für die die Selbstregulation die besten Voraussetzungen schafft.
Auch interessant:
- Nur nicht provozieren lassen! 3 Tipps für ein besseres „Standing“
- Hart oder herzlich? 5 Tipps für Verhandlungen in schwierigen Situationen
- Wohin mit dem Ärger? Selbstregulation in Konflikten, Teil 1
Für eine Vertiefung:
Ein achtstufiges Programm zum Training der Selbstregulation in Konfliktsituationen hat die Psychologin und Coach Claudia Eilles-Matthiessen entwickelt. Einen Überblick dazu gibt sie in ihrem Beitrag The Peaceful Eight im Magazin managerSeminare, Heft 253, April 2019.
Copyright Foto: Setzwein IT-Management GmbH
| Keine Kommentare