Artikel versenden

Schattenmächte: Über den Umgang mit informellen Führern




 

// /

Es gibt sie in jedem Unternehmen: informelle Strukturen, die sich als Resultat gruppendynamischer und politischer Prozesse entfalten und die die formalen Strukturen der Organisation wie ein Schatten begleiten. Dazu gehört die Herausbildung eigener Kommunikationswege und Verhaltensstandards ebenso wie die Etablierung informeller Hierachien. Welches Ausmaß und welche Bedeutung die informelle Struktur in einem Unternehmen annimmt, hängt sehr stark davon ab, wie die formale Struktur der betreffenden Organisation gestaltet ist. Denn informelle Strukturen kompensieren in der Regel das, was der formalen Struktur fehlt. In der Praxis heißt das: Wenn ein Unternehmen über- oder unterstrukturiert ist, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass sich massive und umfängliche informelle Strukturen entfalten.

Informelle Strukturen sorgen oftmals dafür, dass „der Laden überhaupt läuft“. Insbesondere in überstrukturierten, bürokratischen Umgebungen wie man sie z.B. in Großkonzernen oder im öffentlichen Dienst findet, machen „kurze Dienstwege“ und informelle Absprachen die Organisation oft erst bewegungs- und arbeitsfähig. Aber auch in Umfeldern, in denen zu wenig Struktur vorgeben ist bzw. die Struktur uneindeutig erscheint – „Wer bestimmt die Richtung?“, „Wer trifft welche Entscheidungen?“, „Wer verteilt die Arbeit?“ usw. – können informelle Strukturen funktional sein. Wo eine offizielle Hierachie, ob gewollt oder ungewollt, nicht Erscheinung tritt, bilden sich informelle Autoritätsbeziehungen, die der Organisation die nötige Stabilität und Ordnung verleihen, um ihren Zweck zu erfüllen.

Doch informelle Strukturen können auch zu einem ernsten Problem werden. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn einzelne Subsysteme (in Unternehmen: Abteilungen, Stabsstellen usw.) durch die informelle Macht ihrer Anführer eine Dominanz erlangen, durch die das Gesamtsystem in seiner Funktionalität und Produktivität behindert wird. Erkennbar ist dies etwa an einer Akkumulation von Ressourcen, der Ausweitung von Einflussbereichen durch verdeckte Allianzen und einer zunehmenden Verselbständigung gegenüber der offiziellen Hierarchie. Indirekt können informelle Führer auf diese Weise entscheidenden Einfluss auf die Geschicke eines Unternehmens ausüben.

Die Herausbildung einer informellen Machtstruktur, die zur formalen Hierarchie in Konkurrenz tritt, ist eine echte Herausforderung für jede Organisation. Die Auswirkungen können höchst unterschiedlich sein: Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung, Richtungsstreitigkeiten bis hin zur Lähmung, Machtkämpfe zwischen Einzelpersonen und zwischen Gruppen, Entstehung einer Misstrauenskultur usw. Dies gefährdet den Unternehmenserfolg. Als verantwortlicher Manager, verantwortliche Managerin müssen Sie hier also handeln. Aber wie? Natürlich kann es für solche Situationen keine Patentrezepte, sondern nur individuell zu erarbeitende Lösungen geben. Dennoch möchte ich Ihnen einige Tipps mitgeben, die im Umgang mit informellen Führern hilfreich sein können:

  • Unterziehen Sie die informelle Strukturbildung (Gruppendynamik, Beziehungsgeflechte, Kommunikationswege usw.) einer genauen Beobachtung. Wessen Meinung hat am meisten Gewicht? An wen wenden sich Mitarbeiter bei fachlichen, an wen bei persönlichen Problemen am häufigsten? Das Anfertigen von Soziogrammen kann hier hilfreich sein.
  • Untersuchen Sie, welche Typen informeller Führung die „Schattenstruktur“ in Ihrer Organisation bestimmen. Sind es eher die „Beliebten“, die „Tüchtigen“, die „Experten“ oder die „Kämpfer“, die informelle Führungspositionen bekleiden? In welcher Weise üben die betreffenden Personen ihre Führung aus (z.B. Konterkarieren von Anweisungen der formalen Führung, Ausspielen der fachlichen Expertise, emotionale Integration der Teammitglieder, Sanktion von Abweichlern in der Gruppe, offener Machtkampf usw.)?
  • Finden Sie heraus, welche Funktion die informelle Hierarchie in Ihrem Unternehmen hat. Wer profitiert davon? Welchen Nutzen für die Organisation können Sie erkennen? Welche dysfunktionalen Effekte sind beobachtbar? In welcher Beziehung stehen formale und informelle Führung? (Wo) sehen Sie ein formales Führungsvakuum?
  • Bei komplementären Führungsrollen: Wenn Sie feststellen, dass der informelle Führer eine Rolle einnimmt, die das Führungsspektrum der formalen Führung ergänzt, bilden Sie offiziell eine Doppelspitze. Dies ist z.B. dann angezeigt, wenn der informelle Führer vorrangig die emotionalen Bedürfnisse des Teams befriedigt und als „gute Seele“ oder „Ruhekissen“ gilt. Indem Sie diese Rolle offensiv nutzen, entlasten Sie den formalen Führer, der durch die Aufteilung zudem stärker fordernd auftreten kann. Fordernde Führungsstile begünstigen wiederum die Herausbildung emotional entlastender informeller Führung.
  • Bei konkurrierenden Führungsrollen: Wenn Sie einen informellen Führer in Ihren Reihen haben, der sich darauf spezialisiert hat, „Missstände“ aufzuzeigen, also ständig darauf hinzuweisen, was übersehen wurde, was hätte getan werden müssen, welche Entscheidung besser gewesen wäre usw., dann geben Sie ihm Verantwortung! Solche Führungstypen speisen ihre Macht nämlich daraus, dass sie offiziell keine Verantwortung tragen oder tragen können. Machen Sie die Verantwortung konkret, für ein bestimmtes Ergebnis in einem bestimmten (kurzen) Zeitraum. Es muss eine persönliche Verantwortung und diese als solche leiblich spürbar sein. Und was ganz wichtig ist: Übertragen Sie die Verantwortung öffentlich, vor den Augen und Ohren der Teammitglieder. Dann wird sich schnell zeigen, ob die betreffende Person dem Führungsanspruch gewachsen ist und tatsächlich, z.B. durch ihre fachliche Expertise, die formale Führung unterstützen kann. Falls die Person die Verantwortung ablehnt, haben Sie zumindest das Machtspiel enttarnt.
  • Für den Fall, dass die informelle Führung offen mit der formalen Hierarchie konkurriert, diese angreift und sich selbst gar als bessere Alternative ins Spiel bringt, helfen oft nur etwas härtere Bandagen. Zunächst jedoch sollte man schauen, was den informellen Führer in seinem Handeln eigentlich antreibt. Sind es z.B. fehlende oder verwehrte Karrierechancen innerhalb der offiziellen Hierarchie? Steckt vielleicht ein starkes Anerkennungsbedürfnis (Person will beliebt und von anderen bewundert sein) dahinter? In solchen Fällen kann man überlegen, wie diese Bedürfnisse in anderer Weise befriedigt werden können. Auf keinen Fall jedoch sollte man im Umgang mit  informellen Führern den Weichspülgang einlegen. Nutzen sie ein Führungsvakuum in der formalen Struktur als Quelle ihrer Macht, so ist dieses schnellstmöglich zu beseitigen. Wenn informelle Führer durch ihr Verhalten das Klima, die Produktivität und somit den Erfolg eines Unternehmens gefährden und nicht mehr konstruktiv eingebunden werden können, kann man sich letztlich von solchen Personen nur noch trennen.

Aber vielleicht haben Sie ja ganz andere Erfahrungen im Umgang mit informellen Führern gemacht? Über einen Austausch freue ich mich.

Zum Weiterlesen:
Teamperformance – Wann Sie eingreifen müssen

 

 

Quelle Foto: © Phoenixpix – Fotolia.com

| Keine Kommentare

 
Top | Impressum | Datenschutz