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Regulierungswut – warum es keinen Sinn macht, alles festzulegen




 

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Von der EU ist man in Sachen Regularien einiges gewöhnt. Der Volksmund spricht ja nicht grundlos von Bananenverordnungen und Gurkenparagraphen. Und erst am Samstagmorgen gab es wieder einmal eine Kostprobe davon, dass gut gemeinte Regeln ganz schön böse Effekte haben können. Ich saß mit Kaffee und Butterhörnchen am Frühstückstisch, als ich im Lokalteil der Zeitung einen Aufschrei der Freiwilligen Feuerwehren im Lande las. Schleswig-Holstein am Abgrund, das Ende des Brandschutzes im ländlichen Raum. Gruselig. Was war geschehen? Die EU-Kommission hatte die Absicht geäußert, die Arbeitszeitrichtlinie auf das Ehrenamt auszudehnen. Das würde in der Tat nicht nur das Ende der freiwilligen Brandschützer bedeuten, sondern ebenso das vieler anderer, für das Gemeinwesen wichtiger Einrichtungen.

Vorschriften und Richtlinien versus Engagement und gesunder Menschenverstand. Das kennt man nicht nur aus der Politik, sondern auch aus Unternehmen. Zwar ist die lähmende Bürokratie ein Leiden, das meist große Organisationen befällt. Doch auch kleine und mittlere Betriebe werden von Fällen unnützer und kontraproduktiver Formalisierungen heimgesucht. Ich bin sicher, jede und jeder hat dazu ein Beispiel aus dem eigenen Umfeld parat. Der Wunsch nach verbindlichen Festlegungen entspringt dem Bedürfnis nach Sicherheit, Effektivität, Fehlervermeidung. Die als „rational“ wahrgenommene Bürokratie bedient diese Bedürfnisse, wie man prima bei Max Weber nachlesen kann.

Man benutzt Vorschriften und Vereinbarungen, um Unsicherheiten und Unwägbarkeiten in der Zusammenarbeit abzubauen. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Denn natürlich können Regularien nicht alle Eventualitäten vorweg nehmen. Und natürlich hat jede Festlegung nicht-intendierte und unerwartete systemische Effekte. Nehmen Sie nur das Beispiel der jungen Führungskraft, die durch Formalisierung und Kontrolle versucht, die Leistung ihrer Mitarbeiter zu beeinflussen: Die Kollegin hatte einen Low-Performer im Team, der wenig und qualitativ unzureichende Arbeitsergebnisse lieferte. Statt ein Vier-Augen-Gespräch zu führen und den Konflikt mit dem Mitarbeiter auszutragen, entwickelte sie ein Leistungs-Kontrollsystem, das sie allen Teammitgliedern überstülpte. Das Ende vom Lied war, dass die Teammitglieder die Leiterin heftig auflaufen ließen und das Kontrollsystem durch weitere Überformalisierung ad absurdum führten.

Dass Unsicherheiten und Unwägbarkeiten menschlicher (Arbeits-)beziehungen nur sehr bedingt durch Festlegungen abgefangen werden können, zeigt auch das Beispiel von Verträgen. Schon längst läuft nichts mehr ohne Juristen. Dabei ist doch völlig klar: Verträge sind notwendig unvollständig. Alle Verträge, die wir im Geschäfts- und Privatleben aushandeln, haben Lücken. Oft sind in ihnen nicht einmal die zentralen Erwartungen abgebildet. Ein Arbeitsvertrag hält zwar Vereinbarungen wie Entgelt- und Verwertungsansprüche fest. Die nicht minder wichtigen Erwartungen hinsichtlich Wertschätzung, Ehrlichkeit, Gemeinschaft finden sich aber nirgends wieder. Ich kenne Vertragsverhandlungen, die sich schier endlos hinziehen, weil für jede Eventualität noch eine Klausel hinzugefügt werden muss. Am Ende hat man dann einen Monstervertrag und eine hohe Anwaltsrechnung. Das Misstrauen, das die Vertragspartner dazu getrieben hat, noch diese und jene (scheinbare) Absicherung hinzuzufügen, ist hingegen nicht kleiner geworden. Ich sitze dann immer da und denke an den schönen Spruch von Jean Paul Getty: »Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.«

Da steckt einfach viel Wahres darin. Verträge sind gut, solange sie in der Schublade bleiben. In dem Moment, wo man sie herausholen muss, ist es ohnehin zu spät. Nun braucht der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen naturgemäß Zeit, und wenn man mit jemandem das erste Mal geschäftlich zu tun hat, liegt die Versuchung nahe, das fehlende Vertrauen durch Paragraphen zu kompensieren. Das ist falsch. Besser ist es, einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Vielleicht kennen Sie die „Tit for Tat“-Strategie aus der Spieltheorie: Kooperationen sind erfolgreicher, wenn man mit Freundlichkeit und Wohlwollen beginnt, bei einer Verletzung des Vertrauens die andere Seite aber knallhart sanktioniert, um in einem nächsten Schritt wiederum Vertrauen anzubieten. Es wäre naiv, zu behaupten, dass man sich dabei keine blutige Nase holen könnte. Aber was, bitteschön, ist die Alternative? Würde man sich gegenseitig ständig misstrauisch beäugen und nur nach irgendwelchen Vorschriften handeln, man könnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Überreguliert? Unterreguliert? Das richtige Maß an Festlegungen zu finden, ist für jedes Unternehmen eine Herausforderung. Ein Indiz dafür, dass der Grad der Regulierung nicht passt, ist die Ausprägung starker informeller Strukturen. Sie treten auf, wenn die formellen Hierarchien und Prozesse sehr starr oder aber sehr schwach ausgeprägt sind und sorgen dafür, dass „der Laden läuft“. In diesem Sinne sind informelle Strukturen (bei allen Risiken, die sie ebenfalls bergen) höchst funktional.

Um der Regulierungswut entgegen zu treten, haben sich folgende Maßnahmen bewährt:

  • gesunden Menschenverstand einsetzen.
  • auf Vertrauen setzen.
  • Unsicherheit (Unplanbarkeit, Unvorhersagbarkeit) aushalten.
  • informelle Strukturen („kurze Wege“) nutzen.
  • lächeln.

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Quelle Foto: Privat

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