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Effizientes Ärgern – drei Anti-Ärger-Tipps für Anfänger




 

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„Bloß keinen Streit vermeiden!“ – das war stets der Wahlspruch meines Großvaters und entsprechend sah sein Alltag auch aus. Wenn wir z.B. mit dem alten VW in seinen Schrebergarten fuhren, war er schon „auf Zinne“, ohne dass er wusste, was ihn dort erwarten würde. Die bloße Vorstellung von dem, was die Gartennachbarn wohl wieder angestellt haben könnten, genügte. Am Parkplatz angekommen und kaum aus dem Wagen gestiegen, gab es oft schon die ersten Wortgefechte. Als gebürtiger Bayer und ehemaliger Preisboxer konnte mein Opa fluchen und schimpfen und kämpfen, wie ich es später selten wieder erlebt habe.

Mein Großvater war jemand, der sich quasi chronisch ärgerte. Über Nachbarn, Familienmitglieder, ehemalige Kollegen, Politiker, Verkehrsteilnehmer, Hundehalter. Es gab wenige Menschen, mit denen er Frieden hielt. (Zum Glück gehörte ich zu den Auserwählten.) Ich glaube, er hatte es sich selbst so eingerichtet und war auch ganz zufrieden mit seinem Ärger. Diese Haltung habe ich offenbar nicht „geerbt“. Zwar gehe auch ich Konflikten selten aus dem Weg. Den damit einhergehenden Ärger empfinde ich aber – wie wohl die meisten Menschen – als lästig und belastend.

Ärger lässt sich indes kaum vermeiden. Wer mit anderen Menschen zu tun hat, wird, im Beruf wie im Privaten, unweigerlich mit dieser negativen Emotion konfrontiert. Ärger macht unzufrieden, lässt die Lebensfreude schwinden, verengt den eigenen Horizont. Zu viel Ärger macht sogar richtig krank, schwächt unser Immunsystem und schlägt sich in psychosomatischen Beschwerden nieder. Wenn sich aber der Ärger schon nicht gänzlich vermeiden lässt, so sollte man also unbedingt Strategien entwickeln, die einem helfen, mit dem Ärger so umzugehen, dass sein destruktives Potenzial begrenzt ist.

Effizientes Ärgern

„Effizientes Ärgern“ ist die Lösung! Effizient, das heißt in diesem Zusammenhang: seltener, kürzer, weniger intensiv. Es geht nicht darum, dem Ärger auszuweichen oder das Gefühl des Ärgers gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dieses wären absolut unrealistische Ziele. Vielmehr geht es darum, die eigenen Reaktionen auf den Ärger zu steuern. Es liegt z.B. vollkommen in Ihrer Hand, wie lange Sie sich über ein Ereignis ärgern: 30 Sekunden, drei Tage, 20 Jahre oder ein ganzes Leben lang. Eine Freundin sagte einmal zu mir als ich ihr wutschnaubend von einer Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter erzählte. „Monika, du darfst dich ärgern – aber du bist nicht dazu verpflichtet!“ Das hat mir in Erinnerung gerufen, dass es allein meine Entscheidung ist, welchen Raum ich dem Ärger in meinem Alltag zugestehen will.

Die wunderbare, brillante, leider vor einigen Jahren verstorbene Managementtrainerin Vera F. Birkenbihl hat dem Thema „Anti-Ärger-Strategien“ ganze Seminarreihen und Sachbücher gewidmet. Ich kann die Lektüre oder auch das Anschauen der auf Youtube verfügbaren Vorträge von Birkenbihl nur wärmstens empfehlen. Es ist ein großer Spaß, den humorvollen, kreativen und überaus inspirierenden Ausführungen zu lauschen. Die folgenden drei Tipps habe ich aus der Birkenbihlschen Werkzeugkiste herausgegriffen – quasi als Appetithäppchen für alle, die sich künftig effizienter ärgern wollen.

Tipp 1: Schreiben als Kläranlage des Geistes

Reinigen Sie Ihren Geist (und Ihr Gemüt), indem Sie 10 Minuten lang ununterbrochen schreiben. Die Inhalte sind völlig egal. Notieren Sie die Gedanken, die Ihnen kommen, unsortiert, ins „Unreine“. Falls Ihnen nichts einfällt, schreiben Sie genau das: „Mir fällt jetzt nichts ein.“ – zur Not auch 10 Minuten lang hintereinander immer wieder diesen einen Satz. Das Entscheidende ist, dass Sie den Schreibfluss nicht unterbrechen. Machen Sie keine „Denkpausen“! Wenn Sie mit Stift und Papier arbeiten, lassen Sie den Stift über das Papier gleiten, ohne ihn abzusetzen, hochzuheben oder darauf herum zu kauen. An der Tastatur gilt das Gleiche. Die Finger bleiben immer in Bewegung, Tippfehler werden nicht beachtet. Geschrieben wird solange, bis der Timer das Signal für den Abbruch gibt. Dann hören Sie auf und legen den Text ab – OHNE ihn zu lesen.

Die erweiterte Variante dieser Methode besteht darin, den Text einen Tag später zu lesen und dann in gleicher Weise an dem aufgegriffenen Thema weiter zu schreiben. Das kann man einige Male wiederholen und damit äußerst interessante Einsichten (nicht nur) über das eigene Verhalten gewinnen.

Tipp 2: Loslassen

Die destruktive Kraft des Ärgers lebt zu einem guten Teil davon, dass wir die negative Emotion selbst immer wieder aufleben lassen. Ist das ärgerliche Ereignis vorüber, beschäftigen wir uns oft noch Tage, manchmal sogar Jahre oder Jahrzehnte damit. Das unterscheidet den Ärger von positiven Emotionen. Erleben wir Momente des Glücks, fällt es uns schwer, die schönen Gefühle fest zu halten. Bei Wut, Ärger, Enttäuschung hingegen, fällt es uns schwer, loszulassen. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dem Ärger sozusagen den Hahn abzudrehen. Es kann schon helfen, nicht immer wieder von dem ärgerlichen Ereignis zu sprechen. Wir tun uns selbst und auch unseren Mitmenschen keinen Gefallen damit, ständig unseren Ärger mit ihnen zu teilen. Geteilter Ärger ist doppelter Ärger: In uns werden die negativen Gefühle erneut aktiviert, unserem Gegenüber bürden wir die negativen Gefühle auf. Man sollte also Wege finden, mit Ärger auslösenden Ereignissen innerlich abzuschließen.

So kann man etwa lernen zu akzeptieren, dass bestimmte Dinge geschehen sind, diese aber in der Vergangenheit liegen – und dort belässt man sie. Mir persönlich hilft es z.B., die negativen Dinge und Gefühle gedanklich in einen „Tresor“ einzuschließen oder mir den Abspann eines alten Kinofilms vorzustellen mit dramatischer Musik und dem fetten Schriftzug „Ende“. Vera Birkenbihl empfiehlt als eine Variante des Loslassens das Verzeihen. Um zu verzeihen bedarf es seelischer Stärke, und ich denke, dass das Verzeihen in manchen Fällen heilsam, in vielen Fällen aber auch „übertrieben“ sein kann. Interessant ist auf jeden Fall der Aspekt, dass Verzeihen nicht zwangsläufig ein bilateraler Akt sein muss. Man kann auch heimlich, still und leise dem Anderen verzeihen – und ihm dies perfiderweise nicht einmal mitteilen.

Tipp 3: Zweinigkeit herstellen

Ja, Sie haben richtig gelesen, das ist kein Tippfehler. Diese Wortschöpfung von Birkenbihl weist darauf hin, dass es in Konflikten nicht unbedingt nötig ist, Einigkeit zu erzielen. Für die eigene Gemütsruhe kann es sehr förderlich sein, den Widerpart auf seiner eigenen „Insel“ zu belassen. Wenn Sie akzeptieren, dass es unvereinbare Standpunkte gibt, nehmen Sie dem Ärger wirksam den Wind aus den Segeln.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren! Wenn Sie es schaffen, den Ärger in Ihrem Alltag künftig auch nur um 10% effizienter zu gestalten, haben Sie schon viel erreicht. Kommentare und Hinweise sind wie immer willkommen!

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