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Tetralemma: nützliche Entscheidungshilfe mit buddhistischen Wurzeln




 

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Mögen Sie Punk Rock? Falls nicht, wird Ihnen der Song „Should I Stay or Should I Go“ der britischen Band The Clash dennoch ein Begriff sein. Selten ist nämlich ein klassisches Dilemma so schön besungen worden, wie auf besagtem Vinyl, „Combat Rock“, von 1982. Gehen oder Bleiben – egal, welche Option man wählt, das Leiden ist gewiss. In einem Dilemma steckt man also immer dann, wenn man zwischen zwei Optionen zu entscheiden hat, die beide gleich schlecht, gleich gut oder für die Situation gleich unpassend sind. Solche Zwickmühlen kennt jeder, und oft werden faule Kompromisse geschlossen, um die unangenehme Entscheidung vom Hals zu bekommen.

Was Dilemmata so unangenehm macht, ist die gedankliche Enge, die sie erzeugen. Das kommt in dem Begriff „Zwickmühle“ sehr anschaulich zum Ausdruck. Im Alltag neigen die meisten Menschen dazu, in Dualitäten bzw. Gegensätzen zu denken: schwarz/weiß, richtig/falsch, gut/böse, stark/schwach usw. Beim Dilemma verengt sich der Entscheidungsraum entsprechend auf zwei Möglichkeiten, die einander (scheinbar) ausschließen.

Diese Enge aufzulösen und den Entscheidungsraum zu weiten ist eine wichtige Voraussetzung für kluge Entscheidungen. Natürlich fällt es in angespannten Situationen nicht leicht, inne zu halten, das eigene Entscheidungsverhalten zu reflektieren und sich dann neu zu sortieren. Hilfe bietet dabei eine Methode, die ursprünglich der indischen, vom Buddhismus geprägten Logik entstammt – das Tetralemma. Wie der Name schon sagt, stehen damit nicht mehr nur zwei (di) Annahmen (lemma) zur Debatte, sondern gleich vier. Die Methode wurde von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd für die systemische Arbeit, insbesondere Strukturaufstellungen, aufgegriffen und nutzbar gemacht.

Das Tetralemma folgt einem Prozess, in dem fünf Schritte durchlaufen werden. Und so geht’s:

  1. Notieren Sie auf jeweils einer großen Moderationskarte „Das Eine“ (A) und „Das Andere“ (B). „Das Eine“ soll diejenige Option darstellen, die Sie momentan eher favorisieren, „Das Andere“ repräsentiert die Option, die Sie tendenziell eher ablehnen. Können Sie keinerlei Tendenzen für eine Option bei sich feststellen, ist dies kein Hindernis. Legen Sie die Karten einander gegenüber auf den Boden. Stellen Sie sich nun zuerst auf die Karte „Das Eine“. Visualisieren Sie die Lösung vor Ihrem inneren Auge, versuchen Sie, sich selbst in der Lösungssituation zu sehen, spüren Sie in sich hinein. Wie fühlt sich die Option für Sie an? Welche Emotionen werden ausgelöst? Machen Sie anschließend eine kurze Pause.
  1. Nun stellen Sie sich auf die Karte „Das Andere“ und wiederholen den Vorgang. Es ist wichtig, dass Sie sich möglichst tief in die Option hineinversetzen. Schließen Sie die Augen, horchen Sie nach Ihrer inneren Stimme, beachten Sie auch Ihre körperlichen Reaktionen genau. Fühlen sich Schultern und Nacken gelöst oder angespannt an? Wird Ihnen wohl oder unwohl? Wie atmen Sie? Machen Sie wiederum eine kurze Pause. Vielleicht haben Sie schon jetzt klare Hinweise für einen Weg aus Ihrem Dilemma.
  1. Falls nicht, nehmen Sie eine weitere Moderationskarte zur Hand und notieren Sie „Beides“ (A+ B = C) darauf. Oft sind die Optionen, die einen in die Zwickmühle treiben, gar nicht so unvereinbar, wie es scheint. Legen Sie die Karte auf dem Boden so über den beiden schon dort liegenden Karten ab, dass sie die Spitze eines imaginären Dreiecks markiert. Stellen Sie sich auf die Karte und spüren Sie in sich hinein: Schließen sich die Optionen wirklich aus? Wie könnte man beide Optionen zusammenbringen? Aus welchen Anteilen der beiden Optionen könnte man eine dritte Lösungsmöglichkeit schaffen? Lassen Sie sich ausreichend Zeit. Oft werden an diesem Punkt gute Kompromisse gefunden.
  1. Stehen sich die beiden Optionen noch immer unversöhnlich gegenüber und haben Sie auch keine dritte Option entwickeln können, nehmen Sie sich eine vierte Moderationskarte und notieren Sie „Keines von Beidem“ (weder A noch B = D) darauf. Legen Sie die Karte so ab, dass sie mit den drei anderen Karten eine imaginäre Raute bildet. Nun stellen Sie sich auf die Karte und schauen sich das Dilemma von einer Außenposition her an. Wie ist das Dilemma überhaupt entstanden? Was ist der Grundkonflikt? Wer oder was hat mit dem Konflikt zu tun? Warum glaube ich, nur zwei Optionen zu haben? Welchen Vorteil ziehe ich unbewusst daraus, dass ich mich nicht entscheiden kann bzw. dass der Konflikt fortbesteht? Welche Funktion hat das Dilemma in meiner jetzigen Lebens- oder Arbeitssituation? In der Regel wird mit diesem vierten Schritt eine deutliche Weitung der Perspektive erreicht und eine befriedigende Lösung gefunden. Doch man kann bei Bedarf noch einen Schritt weitergehen und sich aus allen bisherigen Positionen heraus lösen.
  1. Mit dem fünften Schritt werden weitere, völlig neue Wahlmöglichkeiten ins Bewusstsein gebracht. Beschriften Sie eine Moderationskarte mit „All dies nicht und selbst das nicht“ (weder A, B, C, D = E) und wählen Sie einen neuen Standpunkt, und zwar im wörtlichen Sinne: Legen Sie die Karte etwas abseits zu allen anderen. Nun haben Sie Raum für ganz und gar andere Ideen bzw. Entscheidungen und können, wenn Sie möchten, von dieser Position aus den gesamte Prozess des Tetralemmas erneut durchlaufen.

Der Zeitbedarf für die Durchführung der Methode liegt bei ca. 45 Minuten, je nach Thema auch höher oder niedriger. Eingesetzt werden kann das Tetralemma sowohl in professionellen Coachings und Mediationen als auch in Form eines Selbstcoachings. Auch kleine Teams können die Methode für sich nutzen, wenn sie zwischen zwei Wahlmöglichkeiten feststecken. Statt der Aufstellung mit Moderationskarten würde man hier z.B. Seile verwenden, um Kreise zu bilden, in die sich die Teilnehmer hineinstellen können. Ein bisschen Übung im Umgang mit systemischen Instrumenten ist sehr hilfreich, doch grundsätzlich ist die Arbeit mit dem Tetralemma recht einfach und auf jeden Fall einen (Selbst-)Versuch wert.

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Quelle Foto: @freshidea – Fotolia.com

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