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Die digitale Weisheit der Silver Ager




 

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Welche Generation entwickelt eine angemessene Kulturtechnik im Umgang mit digitalen Medien? Lange Zeit glaubte man, die Digital Natives würden unserer Gesellschaft den Weg in die digitale Zukunft weisen. Doch das erweist sich mehr und mehr als Irrtum. Zwar ist die Generation der mit dem Internet Aufgewachsenen technisch hoch versiert und sehr stark darin, neue digitale Entwicklungen schnell zu adaptieren. Es fehlt vielen ihrer Vertreter aber an Souveränität im Umgang mit virtuellen Netzwerken und Kommunikationen. Sie begeben sich bewusst oder unbewusst in Abhängigkeiten, die sich leicht verselbständigen. Online-Sucht ist ein extremes Beispiel hierfür. Ständige Erreichbarkeit über verschiedene digitale Kanäle ist der normale Alltag, ebenso wie die permanente Ablenkung und Überreizung durch jedwede Art von „Informationen“. Die Angst, etwas zu verpassen, ist allgegenwärtig. Die Folgen in sozialer, psychologischer und gesundheitlicher Hinsicht sind bekannt und prägen die aktuelle Diskussion.

Mir scheint so, als seien viele Digital Natives mehr Untertanen als Herren der digitalen Revolution. Ältere haben da oft einen abgeklärteren Zugang. Facebook finde ich für mich z.B. völlig verzichtbar, zum Chatten fehlt mir die Zeit (und die Lust). Am Wochenende lasse ich mein iPhone oft ausgeschaltet, und wenn jemand eine SMS nicht binnen Minutenfrist beantwortet, halte ich ihn noch lange nicht für tot. Das entspannt ungemein. Ich tracke übrigens auch meine sportlichen Aktivitäten nicht. Mein Standpunkt dazu ist klar: Ich lasse mich nicht tyrannisieren. Nicht von anderen Menschen – und auch nicht von digitalen Tools. Bislang ließ mich meine jugendliche Umwelt in dem Glauben, ich sei so eine Art altersstarrsinniger Zombie. Doch nun habe ich gelesen, dass mein Verhalten gar kein renitentes Zombietum ist, sondern Ausdruck digitaler Weisheit. Diesen Gedanken finde ich sehr inspirierend.

Den Begriff Digital Wisdom prägte Marc Prensky, der auch schon den Terminus Digital Native ins Leben rief. Die „Weisheit“ besteht in einem selbstbestimmten, emanzipierten Umgang mit den Segnungen und Zumutungen des digitalen Zeitalters. Die Silver Ager, zu denen ich mich seit ein paar Wochen offiziell auch zählen darf, zeigen in bestimmten Bereichen eine deutlich höhere Medienkompetez als die Jüngeren. So sind sie weniger anfällig dafür, unkritisch auf jede technische Neuheit aufzuspringen, sondern hinterfragen zuerst den Nutzen, der für sie persönlich zu erwarten ist. Sie haben die Gelassenheit aus einer Vielzahl angesagter Kommunikationskanäle denjenigen auszuwählen, der für sie am besten passt – anstatt auf allen Kanälen gleichzeitig präsent sein zu müssen. Sie besitzen die innere Ruhe, einfach mal offline zu sein und haben keine Angst davor, ein tolles Jobangebot, den neuesten Tratsch oder die beliebtesten Fotos der letzten Viertelstunde zu verpassen. Die Silver Ager verfügen aufgrund ihrer Lebenserfahrung eher als die Jüngeren über die Fähigkeit nach innen zu schauen und auf die Balance im eigenen Sein zu fokussieren. „Humane digitale Strategie“ wird dies von den Verfassern einer kürzlich publizierten Studie des Zukunftsinstituts genannt (Studie Pro-Aging, hg. Harry Gatterer, 2016).

Für eine digitale Emanzipation und einen „humanen“, d.h. den Menschen bewahrenden Umgang mit digitalen Medien steht also die Generation 50plus. Vorbei sind bald die Zeiten, in denen es vornehmlich um „Teilhabe“ der älteren Generation an den neuen technologischen Entwicklungen geht. Die, die heute in die Jahre kommen, sind als Digital Immigrants längst mit den digitalen Möglichkeiten vertraut. Computer- oder Internetkurse für Senioren werden über kurz oder lang der Vergangenheit angehören. Stattdessen werden die Silver Ager den Digital Natives Kurse anbieten.

Der Schlüssel für die Entfaltung einer adäquaten Medienkompetenz im digitalen Zeitalter liegt in der Verbindung der Stärken der jeweiligen Generationen. Damit dies gelingen kann, braucht es neue Konzepte in Schulen, Universitäten, Unternehmen, in Politik und Gesellschaft.

Was bei all dem aber auch nicht vergessen werden darf: Quer zu den Grenzen zwischen den Generationen verlaufen noch ganz andere Gräben. In Bezug auf die Medienkompetenz bestehen hohe soziale Disparitäten. Der emanzipierte Umgang mit digitalen Medien ist eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben, Rechnen – er darf nicht den sozial Privilegierten vorbehalten bleiben.

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Quelle Foto: @ Jenny Sturm – Fotolia.com

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