Streit als Aufmerksamkeitskiller
3. November 2016
Stellen Sie sich folgende zwei Szenarien vor: Ein Unternehmen beschäftigt 800 MitarbeiterInnen. Von diesen sind 20 Personen zusammengekommen, um über ein neues Produkt zu beraten und in einem Workshop Ideen auszuarbeiten. In Szenario 1 passiert Folgendes: Die Zusammenarbeit ist hervorragend organisiert, methodisch ist alles gut vorbereitet und die KollegInnen sind sehr kreativ. Die Arbeitsergebnisse können sich sehen lassen. In Szenario 2 verhält es sich ganz genauso, die Vorbereitung ist ebenfalls super und alle haben gute Ideen. Nun aber gibt es Ärger an einem der der Arbeitstische. Zwei Mitglieder einer crossfunktionalen Arbeitsgruppe geraten in Streit. Sie brüllen sich an, augenscheinlich handelt es sich um einen persönlichen Streit. Immer stärker geraten die beiden Kampfhähne aneinander, mit hochroten Köpfen stehen sie sich gegenüber. Beherzt eingreifende Kollegen können gerade noch körperliche Angriffe verhindern, die Mitarbeiter trennen und aus dem Workshop bringen. Dieser wird dann ohne die beiden Streithähne fortgesetzt. Trotz dieser Auseinandersetzung verläuft der Workshop sehr erfolgreich.
In beiden Szenarien werden also hervorragende Ergebnisse erzielt. Dennoch ergeben sich sehr unterschiedliche Effekte. Es ist nicht schwer, sich die Folgen der Streitszene auszumalen: Im Szenario 2 wird in der beteiligten Workshopgruppe, aber auch im gesamten Unternehmen von nichts anderem als dem Streit geredet werden. Hat die Geschichte des Streits noch eine Fortsetzung, vielleicht in anderen Workshops, so passiert Folgendes:
Der Streit lenkt die Aufmerksamkeit von den inhaltlichen Diskussionen – und den sehr guten Ergebnissen – vollständig auf eine Kommunikation über den Streit um. Die Kommunikationen über den Streit vervielfachen sich und breiten sich im gesamten Unternehmen wie eine Welle aus. Andere wichtige Themen und positive Ergebnisse oder Entwicklungen, von den restlichen 780 MitarbeiterInnen erzielt, können vollständig unter den Tisch fallen. Wochenlang geht es um nichts anderes, andere Themen werden an den Rand gedrängt, vor allem wenn sich eine Auffrischung der Streitsituation durch Gerüchte (scheinbare Neuigkeiten) oder tatsächliche Geschehnisse (ein weiteres Aufeinandertreffen der Kontrahenten in einer anderen Situation) dazu anbieten, die Kommunikationen um die Streitsituationen fortzusetzen. Ein (un)schönes Beispiel aus dem Politikbereich ist die Seehofer-Merkel-Kontroverse in der Flüchtlingspolitik.
Streit kann in einem Unternehmen hochgradig destruktiv wirken und es geradezu lähmen. Diese destruktive Wirkung zu verhindern ist extrem schwierig, denn die Situation ist erst dann unter Kontrolle, wenn die Kommunikationen um den Streit aufhören. Niemand im Unternehmen kann diesen Stop auf Knopfdruck „befehlen“.
Für ein Unternehmen bleiben die folgenden Möglichkeiten, eine eskalierende Streitsituation in den Griff zu bekommen:
- eine symbolische Handlung vollziehen: Eine symbolische Handlung, zum Beispiel ein Händedruck vor versammelter Mannschaft, lenkt zunächst die Aufmerksamkeit auf die symbolische Handlung und verdrängt damit die Streitszene. Diese gerät dann schneller wieder aus dem Sinn und die Organisation kann sich wieder auf die eigentliche Arbeit konzentrieren.
- andere Themen in den Vordergrund bringen: Durch intelligente Kommunikation und öffentliche Meetings, in denen andere Themen geschickt in den Vordergrund gerückt werden, kann das Streitthema sukzessive in den Hintergrund gebannt werden. Dies erfolgt Schritt für Schritt und kann sich über einen ganzen Zeitraum strecken. Die Aufmerksamkeit der Organisation wird iterativ zurückgewonnen.
- ein Gegenfeuer legen: Ein unkontrollierbares Feuer kann man am Besten mit einem Gegenfeuer bekämpfen. Was in der Brandbekämpfung gilt, kann auch für Organisationen angewendet werden. Hat man ein Thema, das positiv aber auch kontrovers sein kann, und bringt es in die Aufmerksamkeit der Organisation, so kann dieses Thema das Streitthema komplett überlagern. Zum Beispiel kann dies ein inszenierter „neuer“ Streit sein. Das Streitthema wird damit schneller kalt.
Am einfachsten ist es jedoch, es gar nicht soweit kommen zu lassen, also einen Streit in der beschriebenen Form einfach nicht zuzulassen. Im beschriebenen Fall hätten Vorgesetzte oder eine professionelle Moderation dafür sorgen können, dass die Situation nicht so eskaliert.
Was tun Sie in Ihrem Unternehmen, um den großen Streit zu vermeiden? Teilen Sie gern Ihre Tipps und Erfahrungen mit!
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