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Provozieren Sie! Wann eine provokative Gesprächsführung hilfreich ist




 

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Provokationen gelten in der Kommunikation als unerwünscht. Sie stehen in dem Ruf, Teil einer „schwarzen Rhetorik“ zu sein: manipulativ, beleidigend und destruktiv. Ein Provokateur ist auf Konflikte und Eskalationen aus, ein Aufwiegler und Anstachler, der andere Menschen dazu bringt, Dinge zu tun, die seinem Interesse dienen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Provokationen können ebenso konstruktiv, hilfreich und in manchen Fällen sogar heilsam sein – wenn man sie richtig einsetzt.

Provokative Ansätze gibt es heute in vielen Bereichen: in der Verhaltenstherapie ebenso wie in der systemischen Beratung, im Coaching genauso wie in Führungskräfte-Trainings oder in der Sozialarbeit. Ihren Ursprung haben diese Ansätze in der „provokativen Therapie“, die der US-amerikanische Psychotherapeut und Sozialarbeiter Frank Farrally in den 1960er Jahren entwickelte. Farrally arbeitete über Jahrzehnte hinweg mit Menschen, die an Schizophrenie und schweren Depressionen erkrankt waren, mit kriminellen Psychopathen und Drogenabhängigen. Und es gelang ihm, zahlreiche als hoffnungslos eingeschätzte Patienten erfolgreich aus geschlossenen psychiatrischen Abteilungen „hinaus zu provozieren“ (so formuliert es Eleonore „Noni“ Höfner, eine der bekanntesten Vertreterinnen des provokativen Coachings im deutschsprachigen Raum).

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

„Provokation“ leitet sich ab aus lat. provocare und heißt nichts anderes als „herausfordern, hervorrufen“. Und genau darum geht es bei provokativen Interventionen, und zwar zum Wohle der beteiligten Person(en). Das Grundprinzip provokativer Kommunikation besteht in einer (das) Wohl-wollenden, humorvollen Irritation. Humor ist der Schlüssel zu jeder gelingenden Provokation. Denn das gemeinsame Lachen entspannt selbst die unangenehmsten Situationen, wirkt befreiend und schafft Abstand zu Problemen und möglichen Konfliktpunkten.

Erlaubt ist, worüber beide Seiten lachen können: absurde Thesen, wahnwitzige Übertreibungen, blödsinnige Lösungen, pantomimische Einlagen usw. Auch ein Bruch mit der eigenen Rolle als Coach oder Trainer*in (oder Chef*in) kann hilfreich sein. Statt geduldig zuzuhören und allen Erwartungen an den Berufsstand zu entsprechen, kann man sich ein wenig anarchisch zeigen, demonstrativ gelangweilt, genervt, überrascht – je nach Lage.

Das alles funktioniert aber nur, wenn es eine gemeinsame Basis gibt, wenn man wirklich mit einander lachen kann, wenn die Provokationen nicht als Aggression oder Abwertung ankommen, sondern als ein herzliches „Auf-den-Arm-Nehmen“ und die Gesprächspartner*innen sich in der Situation zwischenzeitlich vielleicht unbehaglich, grundsätzlich aber immer sicher fühlen.

Elemente des provokativen Ansatzes

Für Provokationen im positiven Sinne stehen verschiedene Werkzeuge und Taktiken zur Verfügung:

  • Paradoxe Intervention: Fordern bzw. fördern Sie das Gegenteil von dem, was erreicht werden soll. Beliebte Möglichkeiten sind Symptomverschreibungen („Lassen Sie sich von anderen ausnutzen!“, „Was können Sie tun, um noch besser ausgenutzt werden zu können? ), Rückfallvorhersagen („Das schaffen Sie sowie nicht.“), Reframing („Ist doch toll, wenn die Doktorarbeit nicht fertig wird, dann haben Sie immer etwas zu tun, wenn Ihnen mal langweilig ist.“)
  • Advocatus Diaboli: Widersprechen sie den Aussagen und kritisieren Sie die Argumente Ihres Gesprächspartners, dass die Schwarte kracht. Die rhetorische Rolle des advocatus diaboli ist es, immer das Gegenteil zu vertreten – auch entgegen der eigenen Überzeugung.
  • Übertreibungen: Machen Sie aus winzigen Mücken stattliche Elefanten. So manches Thema löst sich dann in gemeinsamem Lachen auf.
  • Globalisierungen: Verwenden Sie stereotype Verallgemeinerungen, um Ihr Gegenüber aus der Reserve zu locken („In Ihrem Alter lohnt sich das sowieso nicht mehr.“ „Männer können kein Multitasking, das ist wissenschaftlich erwiesen.“)
  • Idiotische Lösungen:  Schlagen Sie völlig absurde Lösungen vor.
  • Karikaturen: Halten Sie Ihrem Gesprächspartner einen Zerrspiegel vor, indem Sie sein Weltbild oder seine Verhaltensweisen (niemals die Person selbst!) wohlwollend und mit einem Augenzwinkern karikieren.

Wann eine provokative Gesprächsführung hilft

Provokationen helfen immer dann, wenn es anders nicht weitergeht, wenn man sich z.B. in Beratungsgesprächen im Kreis dreht oder jemand seine „PS nicht auf die Straße“ kriegt, sprich: es an der Umsetzung von Plänen oder Vereinbarungen hapert. Das ist im Coaching häufig ein Problem, wenn ein Aktionsplan oder nächste Schritte analytisch erarbeitet wurden, aber letztlich die Motivation zur Umsetzung nicht reicht.

Provokationen schaffen eine emotionale Beteiligung, z.B. einen Widerstand gegen die eigenen Stolpersteine wie schädigende Glaubenssätze und Angewohnheiten. Wenn ich etwa in der Beratung einen Klienten offensiv darin bestärke, dass er es nie, never, niemals schaffen wird, ein Unternehmen zu gründen, weil er einfach zu faul, zu einfallslos, zu ängstlich, zu abhängig oder was auch immer ist, dann führt dies eher dazu, dass er sagt „Jetzt erst recht“, „Jetzt mach ich das“, als wenn ich ihn zum hundertsten Mal über mögliche Hindernisse, Hemmschwellen und Risiken der Unternehmensgründung lamentieren lasse.

Auf der anderen Seite können provokative Interventionen aber auch helfen, Distanz zu schaffen und emotionale Verstrickungen zu lösen. Indem ich jemandem einen (Zerr-)Spiegel vorhalte, gebe ich ihm die Gelegenheit, mit Abstand auf das eigene Verhalten oder das eigene Gedankenkarussell zu schauen. Oft führt dies zu wertvollen Einsichten, z.B. über unbewusste Muster, was der erste Schritt zu einer gelingenden Selbstregulation (s.u. Artikel „Wohin mit dem Ärger“) sein kann.

Auch in der Moderation von Konflikten können provokative Ansätze sehr sinnvoll sein, allerdings nur, solange der Konflikt sich noch auf einer der unteren Eskalationsstufen befindet. Die Erwartung an externe Konfliktmoderator*innen ist ja meistens, dass diese zwischen den Parteien vermitteln und den Streit schlichten. Durch provokative Interventionen kann man aber die Konfliktparteien wunderbar dazu anstacheln, selbst die Verantwortung für ihr Verhalten und für die Lösung des Konfliktes zu übernehmen. Der Humor nimmt dabei die Schärfe aus der Debatte und sorgt dafür, das keine der Parteien sich bedroht oder hilflos fühlt.

Voraussetzungen für den Einsatz provokativer Kommunikation

Provokative Ansätze werden hauptsächlich im professionellen Umfeld von Beratung und Coaching verwendet. Doch man muss nicht zwangsläufig in einem therapeutischen oder beratenden Beruf ausgebildet sein, um Provokationen sinnvoll und erfolgreich einsetzen zu können. Im privaten Umfeld nutzt vermutlich jede und jeder hin und wieder provokative Elemente, um Situationen zu entspannen oder jemanden aus der Reserve zu locken.

Möchte man im beruflichen Kontext eine provokative Gesprächsführung gezielt einsetzen, so sollte man sich langsam herantasten – und ehrlich mit sich selbst sein, ob man die folgenden Voraussetzungen tatsächlich erfüllt:

  • Humor und Menschenliebe
  • Gute empathische Fähigkeiten
  • Wohlwollende Haltung
  • Respekt und Akzeptanz den jeweiligen Gesprächspartner*innen gegenüber
  • Guter Draht zum Gegenüber (die „Chemie“ muss stimmen)
  • Fähigkeit, verbale Provokationen mit liebevollen non-verbalen Signalen zu verbinden

Gegenanzeigen und Wechselwirkungen

Auch bei Provokationen gilt: Die Dosis macht das Gift. Kein Gespräch sollte komplett im provokativen Stil geführt werden. Man muss immer schauen, wie viel für das Gegenüber verträglich und hilfreich ist. Alles, was für die andere Person oder in der betreffenden Situation nicht hilfreich ist, sollte man unterlassen – auch wenn man selbst noch so viel Spaß daran hätte.

Zu beachten ist auch, dass es unterschiedliche Formen von Humor gibt, von denen nicht alle gleichermaßen für eine provokative Kommunikation geeignet sind. Ironie und Sarkasmus sind z.B. eher mit Vorsicht zu genießen, und Zynismus ist fast immer eine schlechte Wahl. Witze, Nonsens, Karikaturen oder Parodien sind meist unverfänglich – allerdings nur, wenn man den Humor seiner Gesprächspartner*innen trifft.

Wenn in Konflikten die Fronten schon verhärtet sind oder man zur anderen Person keinen „Draht“ findet, wenn man nicht über sich selbst lachen kann, wenn der oder die Andere einem unsympathisch ist und man einfach kein Wohlwollen aufbringen kann, dann sollte man auf jeden Fall die Finger von provokativer Kommunikation lassen.

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