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Permanent beta – Arbeit als dauerhafte Metamorphose




 

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Kontinuierliche Berufsbiographien sind selten geworden. Brüche, Übergangsphasen, Quereinstiege, Neuanfänge – alles ist möglich und gut und wird künftig ganz alltäglich sein für einen großen Teil der Berufstätigen. Was früher als Orientierungslosigkeit oder mangelnde Bereitschaft sich festzulegen galt, wird in Zeiten von „permanent beta“ zwangsläufig zur Routine werden. „Beta“ als Bezeichnung für etwas Unfertiges stammt aus der Softwareentwicklung. Die Beta-Version einer Software ist ein noch nicht zu Ende entwickeltes Programm, das den Nutzern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und anhand des Feedbacks weiterentwickelt wird. In vielen Bereichen werden heute Produkte in dieser Weise iterativ hergestellt und individuellen Kundenwünschen angepasst.

Übertragen auf die Arbeitswelt meint „permanent beta“ den beständigen Wandel von Arbeitsprozessen und -strukturen, von Wissensbeständen und Qualifikationsanforderungen, von Berufsbildern und individuellen Berufsbiographien. Der Begriff bezeichnet eine nicht endende Weiterentwicklung und Anpassung des arbeitenden Menschen an sich verändernde Rahmenbedingungen. Als ich erstmals auf den Begriff stieß – dies war im Kontext von „New Work“ – war der erste Impuls: Oh nee, schon wieder so ein Buzzword, das als nächste Megatrend-Sau durchs Dorf getrieben werden soll. Schließlich ist die Erkenntnis, dass Dinge sich ändern und der Mensch nie auslernt, wirklich nicht neu. Beta gab es auch früher schon.

Was sich aber im Vergleich zu früheren Zeiten geändert hat, das ist das Tempo. Die Zyklen, in denen sich Veränderungen in der Arbeitswelt vollziehen, sind viel, viel kürzer geworden. Und das Tempo wird weiter steigen. Die permanente Vorläufigkeit bringt dabei vor allem drei Dinge mit sich:

  • ein steigendes Maß an Unsicherheit
  • wachsende Anforderungen an das Selbstmanagement
  • veränderte Formen des Lernens

Für manche Menschen ist Arbeiten (und Leben) in „permanent beta“ ein wahres Lebenselixier. Sie sehen die Chancen und Freiheiten, die sich daraus ergeben, sich immer wieder neu ausrichten und ausprobieren zu dürfen. Für sie ist die lebenslange Lern- und Wandlungsfähigkeit kein notwendiges Übel, sondern ein Privileg. Viele Menschen empfinden die erzwungene Flexibilität und Unbeständigkeit im Arbeitsleben hingegen als Belastung. Für sie ist der dauerhafte beta-Zustand verbunden mit Stress und Ängsten. Wie positiv oder negativ „permanent beta“ bewertet wird, ist sicher eine Frage der eigenen Ausbildung, der Art der Tätigkeit, die man ausübt und des Arbeitsumfeldes, in dem man sich bewegt. Doch jenseits von Bildung und sozioökonomischen Faktoren spielt auch die psychologische Disposition eine Rolle: Bestimmten Persönlichkeitstypen („Wechsel-Typ“) fällt das Einlassen auf ständige Unbeständigkeit womöglich leichter als anderen („Dauer-Typ“). Eine Erläuterung zu den Persönlichkeitstypen nach Riemann-Thomann gibt es hier. Aber auch für Menschen, die zu Perfektionismus neigen, dürfte das Arbeiten in „permanent beta“ eher eine Belastung darstellen.

Die entstehende Unsicherheit kann abgefangen werden durch das Bewusstsein der Eigenverantwortung und ein gutes Selbstmanagement. Künftig wird es nicht mehr darum gehen, in Berufspositionen und vorgezeichneten Karrierewegen zu denken, die sich durch den Ablauf festgelegter Qualifikationsmaßnahmen quasi „von selbst“ ergeben. Statt dessen muss in Fähigkeiten, Neigungen, Talenten gedacht werden – die dann zu verschiedenen Tätigkeitsgebieten passen können und nicht nur zu einem bestimmten Beruf oder einer bestimmten Position. Das stellt an jede berufstätige Person die Anforderung, selbst zu wissen, was für sie oder ihn und die eigene berufliche Weiterentwicklung sinnvoll ist. Es gilt herauszufinden, welche Kompetenzen für welche Tätigkeiten oder Aufgaben eingesetzt und hinzugewonnen werden müssen.

Mit dem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft verändern sich auch die Formen des Lernens. Wenn Wissen in immer höherem Tempo veraltet und immer häufiger multidisziplinäre Ansätze im Arbeitsalltag erforderlich sind, kann nicht mehr „auf Vorrat“ gelernt werden, wie der Chemnitzer Bildungsforscher Lothar Albich betont. In Ausbildungen können nur noch Grundkompetenzen vermittelt werden. Auch die klassischen Fortbildungslehrgänge werden früher oder später ausgedient haben. Der Wissenserwerb findet heute immer öfter direkt im Arbeitsprozess statt. Man kennt das von sich selbst: Will man wissen, wie man einen neuen Stecker an die alte Kaffeemaschine bekommt, sucht man sich ein passendes Tutorial bei YouTube. Viele Unternehmen setzen bereits auf intelligente Lernumgebungen. Diese unterstützen das selbstgesteuerte und individuelle Lernen und sorgen dafür, dass die benötigten Informationen unmittelbar in den Arbeitsablauf integriert werden und somit das Wissen direkt in die Anwendung kommt.

Doch es gibt auch hier eine Kehrseite der Medaille: Die Dresdner Psychologieprofessorin Susanne Narciss etwa warnt davor, dass das Selbstdenken angesichts intelligenter Assistenz- und Lernsysteme immer mehr ins Hintertreffen geraten könnte. Und das ist eine These, die ich nur unterstützen kann. Man darf gespannt sein, wie diese Entwicklungen sich fortsetzen werden.

Was denken Sie über das Thema? Anregungen und Kommentare sind herzlich willkommen!

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